DIE WASSERUHR MISST DIE ZEIT
1
In meiner Eigenschaft als Gesandter des Pharao wurde ich in Memphis von Haremhab mit großen Ehrbezeigungen empfangen. Er verneigte sich tief vor mir; denn in seiner Residenz hielten sich viele aus Syrien geflohene Beamte und vornehme Ägypter sowie Gesandte und Vertreter fremder, nicht in den Krieg verwickelter Staaten auf, und vor diesen mußte er den Pharao in meiner Person ehren. Doch kaum waren wir allein, begann Haremhab sich mit der goldenen Peitsche auf das Schienbein zu schlagen und fragte ungeduldig: »Was für ein schlechter Wind führt dich als Gesandten des Pharao zu mir, und welchen Dreck hat sein verrückter Kopf wieder ausgeheckt?«
Ich erzählte ihm, daß ich beauftragt sei, nach Syrien zu reisen, um von Aziru um jeden Preis den Frieden zu erkaufen. Als Haremhab dies vernahm, begann er ärgerlich zu fluchen, rief seinen Falken mit vielen Namen an und sagte: »Habe ich es nicht geahnt, daß er alle meine mit viel Mühe und Kosten aufgebauten Pläne zerstören werde? Wisse, daß Ägypten es mir zu verdanken hat, wenn Gaza sich noch in unserer Hand befindet und wir somit einen Brückenkopf für die Kriegshandlungen in Syrien besitzen. Auch habe ich durch Gaben und Drohungen die Kriegsschiffe Kretas dazu bewogen, die Seeverbindung mit Gaza zu schützen, weil ein starker, selbständiger syrischer Staatenbund mit Kretas Vorteil unvereinbar wäre und seine Herrschaft über das Meer bedrohen würde. Wisse auch, daß Aziru genug damit zu tun hat, seine eigenen Verbündeten im Zaum zu halten, und daß verschiedene syrische Städte, nachdem sie die Ägypter vertrieben, sich gegenseitig bekriegen. Die Syrier, die Heim, Hab und Gut, Frauen und Kinder verloren, haben sich zusammengeschlossen, und von Gaza bis Tanis beherrschen diese Freischaren die Wüste und führen Krieg gegen die Truppen Azirus. Ich habe sie mit ägyptischen Waffen ausgerüstet, und viele tapfere Männer aus Ägypten haben sich ihnen angeschlossen. Ich meine damit all die früheren Soldaten, die Räuber und aus den Bergwerken entwichenen Sträflinge, die jetzt in der Wüste ihr Leben aufs Spiel setzen, um Ägypten gegen den Feind zu verteidigen. Es ist gewiß begreiflich, daß diese Leute gegen alle Bewohner Krieg führen, sich in dem Lande, wo gerade der Kampf tobt, versorgen und jedes Lebewesen vernichten; aber das ist immerhin noch besser, denn sie bereiten Syrien mehr Unbill und Schwierigkeiten als uns, und deshalb fahre ich fort, sie mit Waffen und Getreide zu versehen. Das wichtigste aber ist, daß die Hetiter sich schließlich mit voller Kraft auf die Mitani geworfen und sie aufs Haupt geschlagen haben, so daß dieses Volk und sein Reich wie ein Schatten verschwunden sind. Die Speere und Streitwagen der Hetiter sind somit in Mitani aufgehalten. Babylonien fühlt sich beunruhigt und rüstet Truppen zur Bewachung seiner Grenzen aus, und die Hetiter sind nicht mehr in der Lage, Aziru genügend Unterstützung zukommen zu lassen. Der vom Pharao angebotene Frieden ist daher im Augenblick das beste Geschenk, das sich Aziru wünschen kann, um Zeit zu gewinnen und seine eigene Macht wieder zu festigen. Auch dürfte Aziru, wenn er klug ist, nach dem Fall Mitanis die Hetiter fürchten, weil es jetzt keinen Schild zwischen ihnen und Syrien mehr gibt. Aber gewähre mir bloß ein halbes Jahr oder noch weniger, und ich werde Ägypten einen ehrenhaften Frieden erkaufen und Aziru durch sausende Pfeile und dröhnende Streitwagen zwingen, die Götter Ägyptens zu fürchten!«
Ich aber widersprach ihm: »Du kannst keinen Krieg führen, Haremhab, da der Pharao es dir verboten hat und dir nicht das zur Kriegführung nötige Gold geben wird.«
Aber Haremhab meinte: »Ich pfeife auf sein Gold! Wahrlich, ich habe an allen Ecken und Enden Schulden gemacht, um eine Armee für Tanis auszurüsten. Allerdings sind diese Truppen kümmerlich, ihre Streitwagen plump und ihre Pferde lahm; aber zusammen mit den Freischärlern können sie unter meiner Führung die Speerspitze bilden, die in das Herz Syriens, bis nach Jerusalem, vielleicht sogar bis Megiddo eindringt. Ich habe Gold von allen Begüterten Ägyptens geliehen, die sich nur immer mehr bereichern und wie Kröten aufblähen, während das Volk Not leidet und unter der Last der Steuern seufzt. Ich habe Gold bei ihnen aufgenommen, und einem jeden die Menge, die ich brauche, vorgeschrieben, und sie haben mir das Gold willig gegeben, weil ich ein Fünftel Jahreszins versprochen habe; doch möchte ich gern ihre Gesichter sehen, falls es ihnen eines Tages einfallen sollte, ihre Zinsen oder ihr Gold von mir zu verlangen! Denn all das habe ich nur getan, um Syrien für Ägypten zu retten, und letztlich werden doch gerade die Reichen Nutzen daraus ziehen, weil sie selbst immer den meisten Nutzen aus Krieg und Beute ziehen – wobei das merkwürdigste ist, daß die Reichen sogar noch gewinnen würden, wenn ich verlieren sollte. Deshalb tun sie mir des verlorenen Goldes wegen kein bißchen leid.«
Haremhab lachte herzlich, schlug sich mit der goldenen Peitsche auf das Schienbein, legte mir die Hand auf die Schulter und nannte mich seinen Freund. Bald ward er jedoch wieder ernst und sagte mit finsterer Miene: »Bei meinem Falken, Sinuhe! Du hast doch nicht etwa vor, das alles zu zerstören und als Friedensmakler nach Syrien zu fahren?« Ich aber wiederholte, daß der Pharao mir diesen Auftrag erteilt und alle für den Friedensschluß nötigen Lehmtafeln hatte anfertigen lassen. Doch war es nützlich für mich zu wissen, daß auch Aziru den Frieden brauchte – falls Haremhabs Behauptung mit der Wahrheit übereinstimmte; denn in diesem Fall würde er natürlich bereit sein, den Frieden zu günstigen Bedingungen zu verkaufen.
Als Haremhab diese Ansicht vernahm, wurde er wütend, warf mit einem Tritt seinen Schemel um und rief: »Wahrlich, wenn du von Aziru einen für Ägypten schmählichen Frieden erkaufst, werde ich dir nach deiner Rückkehr bei lebendigem Leib die Haut abziehen und dich vor die Krokodile werfen lassen! Das schwöre ich, obgleich du mein Freund bist. Rede mit Aziru von Aton, stell dich dumm und sag ihm, der Pharao wolle sich in seiner unergründlichen Güte seiner erbarmen! Allerdings wird Aziru dir nicht glauben; denn er ist ein schlauer Kerl. Aber er wird sich den Kopf zerbrechen, bevor er dich wegschickt; er wird mit dir markten, wie nur ein Syrier zu markten versteht, und dir Augen und Ohren voll lügen. Unter keinen Umständen aber darfst du ihm Gaza abtreten! Auch mußt du ihm erklären, daß der Pharao keine Verantwortung für die Freischärler und ihre Raubzüge übernehmen kann. Die Partisanen werden nämlich unter keinen Umständen die Waffen niederlegen; denn sie pfeifen auf die Lehmtafeln des Pharao. Dafür werde ich schon sorgen. Das brauchst du Aziru natürlich nicht zu verraten. Du sagst ihm bloß, die Freischärler seien sanfte, geduldige, aber vom Kummer geblendete Leute, die sicherlich sofort nach Friedensschluß freiwillig ihre Speere gegen Hirtenstäbe vertauschen werden. Wenn du aber Gaza abtrittst, ziehe ich dir eigenhändig das Fell ab! Wie viele Qualen habe ich erlitten, wieviel Gold in den Sand gestreut, wie viele meiner besten Spione geopfert, bevor es mir gelang, Gaza dazu zu bringen, Ägypten seine Tore zu öffnen!«
Ich blieb einige Tage in Memphis, um mich mit Haremhab über die Friedensbedingungen zu beraten und herumzustreifen. Ich traf mit den Gesandten Kretas und Babyloniens und auch mit vornehmen Flüchtlingen aus Mitani zusammen. Aus ihren Berichten erhielt ich ein Bild aller Geschehnisse; ich wurde von Ehrgeiz und Wissensbegierde ergriffen, und zum erstenmal fühlte ich mich als eine wichtige Kraft im großen Spiel um das Schicksal von Völkern und Städten.
Haremhab hatte recht: In diesem Augenblick bedeutete der Friede ein größeres Geschenk für Aziru als für Ägypten. Aber nach allem, was zur Zeit in der Welt vor sich ging, zu urteilen, würde dieser Friede ein bloßer Waffenstillstand werden; denn sobald Aziru die Verhältnisse in Syrien gefestigt hätte, würde er von neuem gegen Ägypten losschlagen. Syrien war nämlich der Schlüssel zur Welt, und um seiner eigenen Sicherheit willen konnte Ägypten nicht gestatten, daß Syrien, nachdem die Hetiter Mitani vernichtet hatten, in die Hände eines unzuverlässigen, feindlich gesinnten und für Gold käuflichen Bundes geriet. Jetzt hing die Zukunft davon ab, ob die Hetiter, nach Festigung ihrer Herrschaft in Mitani, durch Babylonien oder durch Syrien gegen Ägypten ziehen würden. Es war leicht vorauszusehen, daß sie sich dorthin wenden würden, wo der Widerstand am geringsten wäre; Babylonien rüstete, während Ägypten nur schwach bewaffnet war. Die Hetiter waren zweifellos für jeden ein unbequemer Bundesgenosse; aber als Verbündeter der Hetiter hatte Aziru eine Macht hinter sich, während er im Bunde mit den Ägyptern gegen die Hetiter von sicherem Untergang bedroht war, solange Pharao Echnaton in Ägypten regierte und Aziru somit nichts als Wüstensand hinter sich hatte.
Das alles begriff ich, und vor dieser nüchternen Erkenntnis verflüchtigten sich alle Schrecken des Krieges. Ich dachte nicht mehr an den Rauch brennender Städte, an Menschenschädel, die auf den Schlachtfeldern moderten, an die Flüchtlinge, die in den Gassen von Memphis um Brot bettelten; ich kümmerte mich auch nicht mehr um die vornehmen Mitani, die ihren Schmuck und ihre Juwelen verkauften, um Wein trinken und mit schlanken Fingern die schwarze Erde aus Naharina berühren zu können, die sie in Tücher eingeknöpft mitgebracht hatten. Haremhab erklärte mir, daß ich Aziru irgendwo zwischen Tanis und Gaza begegnen werde, wo dieser mit seinen Streitwagen gegen die Freischärler kämpfe. Er unterrichtete mich auch über die Verhältnisse in Simyra und zählte mir die während der Belagerung abgebrannten Häuser sowie die Namen der beim Aufstand umgebrachten Vornehmen auf, so daß ich über sein Wissen höchst erstaunt war. Darum berichtete er mir von seinen Spionen, welche die Städte Syriens besuchten und den Truppen Azirus als Schwertschlucker, Gaukler und Wahrsager oder als Bierverkäufer und Sklavenhändler folgten. Aber er gab auch zu, daß die Spione Azirus auf die gleiche Art bis nach Memphis gelangten und den Freischaren und Grenzbewachungstruppen als Zauberkünstler, Bierhändler und Aufkäufer von Kriegsbeute folgten. Sogar Aschtarte-Jungfrauen waren von Aziru als Spioninnen angestellt worden und hätten leicht die gefährlichsten werden können, weil sie viele wichtige Dinge durch die ägyptischen Offiziere, die sich mit ihnen ergötzten, erfahren konnten; zum Glück aber verstanden sie von kriegerischen Angelegenheiten zu wenig, um wirklich gefährlich zu sein. Es gab sogar Spione, die sowohl Haremhab als auch Aziru dienten, und Haremhab räumte ein, daß diese die klügsten seien, weil sie auf keiner Seite in Gefahr gerieten, sondern das Leben behielten und am reichlichsten Gold verdienten.
Die Flüchtlinge und die Offiziere Haremhabs berichteten mir jedoch so schreckliche Dinge über die Krieger der Amoriter und die ägyptischen Freischaren, daß mir das Herz zu zittern begann und die Knie wie Wasser wurden, als sich die Stunde meiner Abreise näherte. Haremhab sagte:
»Du kannst selbst wählen, ob du lieber auf dem Landweg oder über das Meer fährst. Willst du den Seeweg, so werden dir die Kriegsschiffe Kretas vielleicht das Geleit bis Gaza geben, obgleich es ebensogut möglich ist, daß sie dein Fahrzeug nicht beschützen, sondern beim Anblick der Kriegsschiffe von Sidon und Tyrus, die das Meer von Gaza bewachen, die Flucht ergreifen. In diesem Fall wird dein Schiff, falls du tapfer kämpfst, versenkt, und du ertrinkst in den Fluten. Wehrst du dich hingegen nicht mutig, wird dein Fahrzeug gekapert und du wirst Ruderer auf einem syrischen Kriegsschiff und stirbst binnen weniger Tage unter Peitschenhieben und Sonnenhitze. Da du aber ein Ägypter und vornehmer Mann bist, ist anzunehmen, daß sie dir die Haut abziehen und sie zum Trocknen auf ihre Schiffe hängen werden, um Markttaschen und Börsen daraus anzufertigen. Ich will dich jedoch keineswegs beunruhigen; denn es ist auch möglich, daß du unversehrt nach Gaza kommst. Vor kurzem gelang es nämlich einem Waffenboot, es zu erreichen, während ein Getreideschiff versenkt wurde. Wie du aber aus dem belagerten Gaza bis zu Aziru gelangen sollst, das ist mir wahrlich ein Rätsel.«
»Vielleicht ist es am sichersten, ich reise zu Land«, schlug ich zögernd vor. Haremhab nickte zustimmend und erklärte: »Von Tanis an werde ich dich durch einige Speerwerfer und Streitwagen geleiten lassen. Wenn sie mit Azirus Truppen in Fühlung geraten, ergreifen sie eilends die Flucht und lassen dich allein in der Wüste zurück. Möglich ist es natürlich, daß die Krieger Azirus, wenn sie sehen, daß du ein Ägypter und vornehmer Mann bist, dich nach Sitte der Hetiter auf eine Stange spießen und ihre Notdurft über deine Lehmtafeln verrichten. Auch ist es nicht ausgeschlossen, daß du trotz Geleites in die Hände der Freischärler fällst, die dich bis auf die Haut ausplündern und dann ihre Mühlsteine drehen lassen, bis ich dich mit Gold loskaufen kann; doch glaube ich kaum, daß du es so lange aushalten wirst; denn dein Leib ist lehmfarben und erträgt daher die Sonnenstrahlen nicht, und ihre Peitschen sind aus der Haut der Flußpferde gemacht. Doch ist es ebensogut möglich, daß sie dir, nachdem sie dich ausgeplündert, mit ihren Speeren den Bauch aufschlitzen und dich den Raben zum Fraß zurücklassen; das ist keineswegs die schlimmste Art, das Leben zu beenden, sondern es wird ein ziemlich leichter Tod sein.«
Als ich all das vernahm, zitterte mein Herz noch mehr als zuvor, und meine Glieder froren, obwohl es heißer Sommer war. Deshalb sagte ich: »Ich bedaure sehr, meinen Skarabäus bei Kaptah gelassen zu haben, damit er mein Eigentum bewache! Vielleicht hätte er mir besser helfen können als der Aton des Pharao, dessen Macht sich, nach deinen Worten zu urteilen, nicht bis in jene gottlosen Gegenden erstreckt. Nach allem werde ich jedenfalls dem Tod oder Aziru rascher begegnen, wenn ich unter dem Geleit deiner Streitwagen auf dem Landweg reise. Deshalb wähle ich diesen. Um unserer Freundschaft willen aber beschwöre ich dich, Haremhab: wenn du erfahren solltest, daß ich irgendwo als Gefangener Mühlsteine drehe, so kaufe mich rasch los und spare nicht an Gold! Ich bin ein reicher Mann, reicher als du glaubst, wenn ich dir auch nicht sofort mein ganzes Hab und Gut aufzählen kann, weil ich es nicht einmal völlig kenne.«
Haremhab erwiderte: »Ich kenne deinen Reichtum sehr gut und habe durch Kaptah einen Haufen Gold von dir geliehen, wie von den anderen Reichen Ägyptens, weil ich ein gerechter, unparteiischer Mann bin und dir einen Anteil an diesem Verdienst zukommen lassen wollte. Aber ich hoffe, daß du um unserer Freundschaft willen dein Gold nicht zurückverlangen wirst; denn dies könnte unser Verhältnis sehr beeinträchtigen, ja geradezu dessen Bruch herbeiführen. Reise also, Sinuhe, mein Freund, reise nach Tanis, laß dir dort einen Geleittrupp geben und zieh in die Wüste hinaus! Möge dich mein Falke beschützen! Ich selbst kann es nicht, weil sich meine Macht nicht bis in die Wüste erstreckt. Solltest du gefangengenommen werden, so werde ich dich mit Gold loskaufen; solltest du sterben, werde ich deinen Tod rächen. Möge dir dieses Wissen zum Trost gereichen, falls dir einer den Bauch mit dem Speer aufschlitzt!«
»Wenn du meinen Tod vernimmst, sollst du deine Rache nicht an mich vergeuden!« sagte ich bitter. »Meinem von den Raben zerhackten Schädel bereitet es nicht den geringsten Trost, wenn du ihn mit dem Blut elender Menschen begießest. Ich bitte dich dann nur, die Prinzessin Baketaton von mir zu grüßen; denn sie ist eine schöne, begehrenswerte, wenn auch sehr hochmütige Frau und hat mich am Totenbett ihrer Mutter eifrig über dich ausgefragt.«
Nachdem ich diesen vergifteten Pfeil über die Schulter abgeschossen hatte, ging ich, einigermaßen getröstet, meines Weges und ließ mein Testament durch die Schreiber aufsetzen und durch alle nötigen Siegel bestätigen. Laut diesen Verfügungen hinterließ ich Kaptah, Merit und Haremhab mein ganzes Erbe. Das Testament hinterlegte ich in dem königlichen Archiv zu Memphis, worauf ich nach Tanis segelte und dort im Sonnenbrand einer Festung am Wüstenrand die Grenzwache Haremhabs traf.
Die Leute tranken Bier und verfluchten den Tag ihrer Geburt, jagten Antilopen und tranken wiederum Bier. Ihre Lehmhütten waren schmutzig und rochen nach ihrem Harn, und sie mußten sich mit den elendesten Weibern, die nicht einmal mehr den Seeleuten in den Häfen des Unteren Landes gut genug waren, in ihrer Einsamkeit zufrieden geben. Mit einem Wort: sie führten das übliche Leben der Grenzsoldaten und hofften inständig, daß Haremhab sie in den Krieg gegen Syrien führen werde, damit sie Abwechslung, besseres Bier und jüngere Weiber bekämen. Jedes andere Schicksal, sogar der Tod, dünkte sie besser als das schrecklich einförmige Dasein in sonnenverbrannten Lehmhütten mit beißenden Sandflöhen. Sie glühten daher vor Kampflust und beteuerten, an der Spitze der Freischaren wie eine Speerspitze bis Jerusalem und sogar bis Megiddo vordringen und die stinkenden Truppen Syriens vertreiben zu können, wie der steigende Strom dürres Schilf fortschwemmt. Aber was sie Aziru, den Amoritern und den Führern der Hetiter anzutun versprachen, kann ich nicht wiederholen; denn ihre Reden waren furchtbar gottlose Prahlereien.
Sie brannten vor Begeisterung für die Ehre Ägyptens und verfluchten den Pharao; denn in Friedenszeiten hatten sie Gelegenheit zu Vergnügungen, indem sie sich mit den Frauen der Hirten ergötzten, während es Pharao Echnaton seines Gottes wegen so weit gebracht hatte, daß ein Zustand herrschte, der weder Krieg noch Frieden genannt werden konnte. Schon seit vielen Jahren waren keine Karawanen mehr über Tanis nach Ägypten gekommen, und die Hirten waren ins Untere Reich geflüchtet. Und wenn doch noch einmal eine Karawane aus Syrien oder aus der Wüste nach Ägypten zu gelangen versuchte, so plünderten die Freischärler sie unterwegs aus, bevor die Grenzwächter des Pharao dies tun konnten; deshalb verachteten diese die Partisanen aufs tiefste und gaben ihnen die häßlichsten Namen.
Der Geleittrupp wurde für die Reise ausgerüstet. Man füllte Säcke mit Wasser, fing Pferde auf der Weide ein, und Schmiede verstärkten die Räder der Streitwagen. Inzwischen hielt ich Umschau und entdeckte dabei das Geheimnis aller kriegerischen Erziehung, durch das die Männer mutiger als Löwen werden. Ein hervorragender Befehlshaber hält nämlich seine Leute in so fürchterlicher Zucht, ermüdet sie derart durch Übungen und macht ihnen das Leben in jeder Hinsicht so unerträglich, daß ihnen jedes andere Schicksal, selbst Krieg und Tod, besser als das Dasein im Hause der Krieger erscheint. Das seltsamste dabei aber ist, daß die Soldaten ihren Vorgesetzten nicht hassen, sondern sehr bewundern und preisen und stolz sind auf all die ausgestandenen Mühen und auf alle von Peitschenhieben auf ihrem Rücken hinterlassenen Male. So merkwürdig und überraschend ist die menschliche Natur – und als ich das bedachte, rückte die Stadt Achetaton wie ein Traum und Trugbild in die Ferne.
Auf Haremhabs Befehl wurden zu meinem Schutze zehn Streitwagen ausgerüstet: ein jeder von zwei Pferden gezogen und von einem Ersatzpferd gefolgt, und außer dem Lenker befanden sich auf jedem Wagen ein Speerwerfer und ein Fußkämpfer. Als sich der Führer der Geleitmannschaft bei mir meldete, verneigte er sich tief und streckte die Hände in Kniehöhe vor. Ich betrachtete ihn forschend; denn er war der Mann, dem ich mein Leben anvertrauen sollte. Sein Lendentuch war ebenso schmutzig und zerfetzt wie das der Soldaten, die Wüstensonne hatte ihm Gesicht und Leib schwarz gebrannt, und bloß die silberdurchwirkte Peitsche unterschied ihn von den Soldaten. Aber gerade deshalb verließ ich mich mehr auf ihn, als wenn er in kostbare Stoffe gekleidet und durch einen Sonnenschirm geschützt gewesen wäre. Er vergaß die militärische Achtung und brach in Gelächter aus, als ich von einer Sänfte zu reden begann. Ich schenkte ihm Glauben, als er erklärte, daß unsere einzige Sicherheit in der Schnelligkeit bestehe, und ich daher mit ihm in seinem Wagen fahren und auf die Sänfte wie auch auf jede andere gewohnte Bequemlichkeit verzichten müsse. Er versprach, ich dürfe, wenn ich wolle, auf einem Futtersack sitzen, versicherte jedoch gleichzeitig, ich täte besser daran, im Wagenkorb zu stehen und mich dessen Bewegungen anzupassen, weil mir die Wüste sonst die Seele aus dem Leib rütteln und die Knochen an der Wand des Wagens zertrümmern würde.
Ich ermannte mich und erklärte in überlegenem Ton, es sei keineswegs das erstemal, daß ich in einem Streitwagen fahre; ich sei bereits einmal in kürzester Zeit von Simyra zu Aziru gejagt, so daß sogar die Amoriter über die Geschwindigkeit meiner Reise gestaunt hätten, wenn ich auch damals jünger gewesen und mir meine heutige Würde gebot, auf körperliche Anstrengung zu verzichten. Der Offizier, dessen Namen Juju lautete, hörte mir höflich zu, worauf ich mein Leben dem Schutz aller ägyptischen Götter anvertraute und hinter ihm den vordersten Wagen bestieg. Juju ließ seinen Wimpel flattern und stachelte die Pferde brüllend an. Wir stürmten auf einem Karawanenweg in die Wüste hinaus, mein Körper wurde auf den Futtersäcken hin und her geschleudert, ich hielt mich mit beiden Händen an den Wagenseiten fest, schlug mir die Nase blutig und jammerte über mein Elend. Aber mein Wehklagen ertrank im Dröhnen der Räder, und die Lenker hinter mir stießen wilde Freudenrufe aus, weil sie von der glühenden Hölle der Lehmhütten weit fort in die Wüste hinausfahren durften.
So reisten wir den ganzen Tag. Ich übernachtete, mehr tot als lebendig, auf den Futtersäcken, und ich verfluchte bitterlich den Tag meiner Geburt. Am folgenden Tag versuchte ich, im Wagen zu stehen und mich an Jujus Gürtel festzuhalten; aber nach einer Weile fuhr der Wagen über einen Stein, ich flog in weitem Bogen hinaus und fiel kopfüber in den Sand, wo mir Dorngewächs das Gesicht zerriß. Doch kümmerte ich mich nicht mehr darum. Als wir uns wiederum zu übernachten anschickten, war Juju über meinen Zustand beunruhigt und goß mir Wasser über den Kopf, obwohl er aus Sparsamkeitsgründen den Soldaten nicht genügend zu trinken gab. Er hielt mich bei der Hand und tröstete mich, indem er mir versicherte, daß die Reise bisher gut verlaufen sei, und daß wir, falls die Freischärler uns auch am folgenden Tage nicht überraschten, vielleicht schon am vierten Tag auf einige Späher Azirus stoßen würden.
Im Morgengrauen riß mich Juju aus dem Schlaf, indem er mich ohne Umstände vom Wagen in den Sand hinunterwarf. Meine Lehmtafeln und meinen Reisekasten schmiß er mir nach, ließ die Pferde wenden, vertraute mich dem Schutz aller Götter Ägyptens an und rief mir aufmunternde Worte zu. Dann fuhr er in vollem Galopp davon, so daß die Wagenräder aus den Steinen des Bodens Funken schlugen, und die übrigen Wagen folgten ihm nach.
Als ich mir den Sand aus den Augen gerieben, sah ich eine Anzahl syrischer Streitwagen heranfahren und sich fächerförmig zum Kampf ordnen. Eingedenk meiner Würde erhob ich mich und schwenkte als Zeichen des Friedens einen grünen Palmzweig über meinem Kopf, obwohl die Blätter auf der Reise verwelkt und vertrocknet waren. Die Streitwagen aber fuhren, ohne sich um mich zu kümmern, an mir vorbei, und nur ein einziger Pfeil sauste zischend an meinem Ohr vorüber und bohrte sich hinter mir in den Sand. Die Streitwagen verfolgten Jujus Kolonne; aber ich konnte sehen, wie dieser und seine Leute die Futtersäcke und alsdann auch die Wasserbehälter aus den Wagen schleuderten, um deren Gewicht zu vermindern. So sah ich sie fast alle entkommen; ein einziger Wagen blieb zurück, weil das eine der Pferde über einen Steinhaufen gestrauchelt war. Ohne ihre Fahrt zu verringern, stürzten die Angreifer den Wagen um, fällten die Rosse und töteten die Männer.
Nach der nutzlosen Verfolgung kehrten die Streitwagen Azirus zu mir zurück, und die Lenker sprangen herab. Ich rief sie an, nannte ihnen meinen Rang und zeigte ihnen die Lehmtafeln des Pharao. Sie aber kümmerten sich nicht um meine Angaben. Einige hatten die Hände, die noch von Blut troffen, in den Gürtel gesteckt. Sie plünderten mich aus, öffneten meinen Kasten, nahmen mir mein Gold, zogen mich aus und banden mich an den Handgelenken hinter einen Streitwagen, so daß ich hinter ihnen herlaufen mußte, während sie fuhren; ich glaubte dabei ersticken zu müssen, und der Sand schürfte mir die Haut an den Knien, aber sie kümmerten sich nicht um meine Schreie, obwohl ich ihnen mit dem Zorn Azirus drohte. All das mußte ich Pharao Echnatons wegen erleiden.
Auf dieser Fahrt wäre ich zweifellos umgekommen, wenn Aziru nicht sein Lager gleich hinter den Bergen jenseits des Passes aufgeschlagen gehabt hätte. Mit halbgeblendeten Augen erblickte ich eine Menge Zelte, zwischen denen Pferde weideten; um das Lager hatte man aus Streitwagen und Ochsenschlitten einen Wall gebildet. Alsdann sah ich nichts mehr und erwachte erst, als Sklaven Wasser über mich gossen und mir die Glieder mit Öl einrieben; denn ein des Lesens kundiger Offizier hatte meine Lehmtafeln gesehen, weshalb ich nunmehr mit aller Ehrfurcht behandelt wurde und meine Kleider zurückerhielt.
Als ich wieder zu gehen vermochte, wurde ich in das Zelt Azirus geführt, das nach Talg und Wolle und Räucherwerk duftete. Aziru kam mir, klirrende Goldketten um den Hals und den gekräuselten Bart in einem Silbernetz, wie ein Löwe brüllend entgegen. Er trat auf mich zu, umarmte mich und sagte:
»Ich bin tief betrübt, daß dich meine Leute so schlecht behandelt haben! Du hättest ihnen deinen Namen sagen und erzählen sollen, daß du der Gesandte des Pharao und mein Freund bist! Auch hättest du nach gutem Brauch einen Palmenzweig als Friedenszeichen über deinem Haupte schwenken sollen; statt dessen sagen meine Leute, du seist mit gezücktem Messer und vor Wut heulend auf sie zugestürzt, so daß sie dich unter Lebensgefahr bändigen mußten.« Meine Knie brannten wie Feuer, und meine Handgelenke waren wie gebrochen. Deshalb war mein Sinn voll Bitterkeit, und ich sprach zu Aziru: »Sieh mich an und sage selbst, ob ich dem Leben deiner Leute hätte gefährlich werden können. Sie zerbrachen meinen Palmenzweig, plünderten mich aus, nahmen mir sogar die Kleider, verhöhnten mich und trampelten auf den Lehmtafeln des Pharao herum. Deshalb sollst du wenigstens einige von ihnen auspeitschen lassen, damit sie lernen, dem Gesandten des Pharao Achtung entgegenzubringen.«
Aber Aziru spreizte höhnisch sein Gewand, hob erstaunt die Hände und beteuerte: »Du hast gewiß einen bösen Traum gehabt, Sinuhe, und ich kann wirklich nichts dafür, wenn du dir auf der schwierigen Reise die Knie an den Steinen zerschürft hast. Eines elenden Ägypters wegen kann ich wahrlich nicht meine besten Leute auspeitschen lassen, und die Worte eines Gesandten des Pharao sind wie Fliegengesumm in meinen Ohren.«
»Aziru«, sagte ich, »König über viele Könige! Laß wenigstens den Mann auspeitschen, der schamlos genug war, mir, während ich hinter dem Wagen herlief, mit dem Speer das Hinterteil wundzustechen. Laß ihn auspeitschen, und ich begnüge mich damit. Denn wisse, daß ich dir und Syrien das Geschenk des Friedens überbringe.«
Aziru lachte laut auf, schlug sich mit der Faust vor die Brust und sagte: »Was geht es mich an, wenn der erbärmliche Pharao im Staub vor mir kriecht und mich um Frieden anfleht? Aber deine Rede ist vernünftig, und da du mein und meiner Gemahlin und meines Sohnes Freund bist, werde ich den Mann auspeitschen lassen, der dich mit dem Speer in den Hintern stach, um deinen Lauf zu beschleunigen. Das war gegen guten Brauch, und wie du weißt, führe ich Krieg mit sauberen Waffen und für hohe Ziele.«
Somit hatte ich die Genugtuung, meinen schlimmsten Quälgeist vor den versammelten Truppen neben Azirus Zelt ausgepeitscht zu sehen. Seine Kameraden hegten kein Mitleid mit ihm, sondern verhöhnten ihn, brüllten vor Lachen bei seinem Gejammer und zeigten mit den Fingern auf ihn; denn sie waren ja Soldaten, die sich in ihrem langweiligen Beruf über jede Abwechslung freuten. Zweifellos hätte Aziru ihn zu Tode peitschen lassen; als ich aber sah, wie ihm das Fleisch in Fetzen von den Rippen fiel und das Blut herabströmte, nahm ich an, daß ihn der Rücken bereits ebenso schmerzte wie mich die Knie und das Hinterteil. Deshalb hob ich die Hände zum Zeichen, daß ich ihm das Leben schenke. Und als ich sein Elend sah, ließ ich ihn in das Zelt tragen, das mir Aziru zum großen Ärger der Offiziere, die es bewohnt hatten, zur Unterkunft angewiesen hatte. Seine Kameraden priesen mich laut, weil sie annahmen, ich wolle ihn nun nach der Auspeitschung noch auf allerlei Art peinigen. Ich aber rieb ihm den Rücken mit den gleichen Salben ein, mit denen ich meine Knie und mein Hinterteil behandelt hatte, verband seine Wunden und ließ ihn den Durst an Bier löschen, so daß er mich schließlich für verrückt hielt und die Achtung vor mir verlor.
Am Abend bot mir Aziru in seinem Zelt Schafsbraten und in Fett gekochte Graupen an, und ich speiste mit ihm und seinen Hauptleuten und den hetitischen Offizieren, die sich in seinem Lager befanden und deren Mäntel und Brustschilde mit dem Bild der Doppelaxt und der beflügelten Sonne verziert waren. Wir tranken Wein, und alle begegneten mir freundlich und wohlwollend und hielten mich vermutlich für sehr einfältig, weil ich gekommen war, ihnen in dem Augenblick den Frieden zu bringen, da sie diesen am dringendsten benötigten. Sie redeten hochtrabend von der Freiheit und künftigen Macht Syriens und von dem Joch der Unterdrückung, das sie abgeschüttelt hatten. Aber nachdem sie hinreichend getrunken, begannen sie untereinander zu streiten, und ein Mann aus Joppe zog sein Messer und stieß es einem Amoriter in die Kehle. Wenn auch Blut daraus floß, war die Verletzung nicht gefährlich, weil das Messer nicht die Pulsader zerschnitten hatte, und so konnte ich ihn mit meiner Kunst heilen, wofür ich reichliche Gaben von ihm erhielt. Auch wegen dieses Beistandes hielten mich die anderen für einfältig.
Ebensogut hätte ich ihn allerdings sterben lassen können; denn noch während ich mich im Lager befand, ließ derselbe Amoriter den Mann aus Joppe, der ihn verletzt hatte, erstechen, und Aziru seinerseits ließ jenen mit dem Kopf nach unten an die Mauer hängen, um die Ordnung unter seinen Truppen zu wahren – und dies noch bevor seine Kehle ganz ausgeheilt war. Aziru behandelte nämlich seine eigenen Leute grausamer und strenger als andere Syrier, weil sie vor allen anderen ihn um seine Macht beneideten und Ränke gegen ihn schmiedeten, so daß er in seiner Machtstellung dauernd wie in einem Ameisenhaufen saß.
2
Nach der Mahlzeit schickte Aziru seine Hauptleute und die Offiziere der Hetiter aus seinem Zelte, damit sie die Zwiste in ihre eigenen Zelte verlegten. Er zeigte mir seinen Sohn, der ihn auf dem Feldzug begleitete, obwohl er erst sieben Jahre alt war. Es war ein schöner Junge mit Wangen wie Pfirsiche und glänzenden schwarzen Augen. Sein Haar war lockig und pechschwarz wie der Bart seines Vaters, und er hatte die helle Haut seiner Mutter geerbt. Aziru strich ihm übers Haar und sagte zu mir:
»Hast du je einen stattlicheren Jungen gesehen? Ich habe viele Kronen für ihn gesammelt, er wird ein großer Herrscher werden, und ich wage kaum, mir auszumalen, wie weit sich sein Reich erstrecken wird! Mit seinem kleinen Schwert hat er bereits einem Sklaven, der ihn beleidigte, den Bauch aufgeschlitzt. Er kann schon lesen und schreiben und zeigt keine Angst im Kriege; denn ich habe ihn schon in den Kampf mitgenommen, wenn auch bloß auf Strafzüge gegen aufständische Dörfer, wo ich für sein junges Leben nicht zu fürchten brauchte.«
Keftiu herrschte im Amoriterlande, während Aziru Krieg führte. Aziru sehnte sich sehr nach ihr und erklärte, er habe vergeblich versucht, seine Sehnsucht an gefangenen Frauen und Tempeljungfrauen, welche die Truppen begleiteten, zu stillen; denn wer einmal Keftius Liebe gekostet, könne sie nie mehr vergessen. Sie sei mit den Jahren noch voller und üppiger geworden, »so daß ich jedenfalls meinen Augen nicht trauen würde, wenn ich sie zu sehen bekäme«. Aber den Sohn führte Aziru mit sich, weil er sich nicht getraute, ihn zurückzulassen; denn dieser Sohn sollte einst die vereinten Kronen Syriens tragen.
Während unseres Gesprächs waren aus dem Lager gellende Hilferufe weiblicher Stimmen zu vernehmen, und zornig erklärte Aziru: »Die Offiziere der Hetiter foltern wieder einmal die Gefangenen, obwohl ich es ihnen verboten habe. Aber ich kann nichts dagegen tun, weil ich ihre Kriegskunst brauche. Sie haben nämlich ihre Freude daran, Frauen zu quälen und zum Wimmern zu bringen, was ich gar nicht verstehen kann; denn es ist doch gewiß angenehmer, eine Frau durch Wollust als durch Schmerz zum Stöhnen zu bringen. Aber schließlich hat jedes Volk seine eigenen Sitten, und ich kann es ihnen keineswegs zum Vorwurf machen, daß sich ihre Gewohnheiten von den syrischen unterscheiden. Ich sähe es jedoch ungern, wenn sie meinen Leuten schlechte Sitten beibrächten; denn wahrlich: der Krieg hat schon früher Männer zu Wölfen und reißenden Löwen gemacht.«
Seine Rede entsetzte mich, obgleich ich die Hetiter kannte und wußte, was man von ihnen erwarten konnte. Deshalb benützte ich die Gelegenheit und sagte: »Aziru, König der Könige, brich beizeiten mit den Hetitern, ehe sie dir die Krone zerschmettern und das Haupt dazu! Auf die Hetiter ist kein Verlaß. Schließe statt dessen jetzt mit dem Pharao Frieden, da die Hetiter durch ihren Krieg in Mitani gebunden sind. Auch Babylon rüstet, wie du weißt, gegen die Hetiter. Du wirst kein weiteres Getreide aus Babylon erhalten, solange du mit den Hetitern verbündet bleibst. Wenn der Winter kommt, wird der Hunger wie ein ausgemergelter Wolf durch Syrien schleichen, falls du nicht mit dem Pharao Frieden schließest, damit er deinen Städten wie früher Getreide sende.«
Aziru aber widersprach mir und erklärte: »Du redest verrücktes Zeug! Die Hetiter sind gut zu ihren Freunden, wenn sie auch fürchterliche Gegner sind. Doch bin ich durch kein Bündnis an die Hetiter gebunden, wenn sie mir auch schöne Geschenke und glänzende Brustschilde mit Mauerkronen gesandt haben, und kann daher unabhängig von ihnen einen Friedensschluß in Erwägung ziehen. Die Hetiter haben auch entgegen unserem unzweideutigen Übereinkommen Kadesch erobert und benützen den Hafen von Byblos, als gehörte er ihnen. Andererseits haben sie mir eine ganze Schiffsladung aus einem neuen Metall geschmiedeter Waffen gesandt und machen meine Leute im Kampf unwiderstehlich. Dennoch liebe ich den Frieden mehr als den Krieg und führe diesen bloß, um einen ehrenhaften Frieden zu erzielen. Darum schließe ich auch gerne Frieden, unter der Bedingung allerdings, daß mir der Pharao Gaza, das er durch List erobert hat, zurückgibt, die Räuberbanden der Wüste entwaffnet und allen Schaden, den die Städte Syriens gelitten, durch Getreide, Öl und Gold wiedergutmacht. Denn, wie du weißt, Sinuhe, trägt Ägypten allein die Schuld an diesem Krieg.«
Er musterte mich frech und lächelte verschmitzt hinter seiner Hand; ich aber wurde heftig und sagte: »Aziru, du Räuber und Viehdieb, du Henker der Unschuldigen! Weißt du nicht, daß man in jeder Schmiede des ganzen Unteren Reiches Speerspitzen schmiedet, daß die Zahl der Streitwagen Haremhabs bereits die Zahl der Flöhe in deinem Lager übersteigt und daß du dich ihrer nicht mehr erwehren wirst, sobald die Ernte reift. Haremhab, dessen Ruf dir bekannt ist, spuckte mir auf die Füße, als ich von Frieden sprach, der Pharao aber will um seines Gottes willen den Frieden und kein Blutvergießen. Deshalb gebe ich dir eine letzte Gelegenheit, Aziru. Gaza bleibt ägyptisch, und die Räuberhorden der Wüste mußt du selbst erledigen; denn Ägypten trägt keine Verantwortung für deren Taten. Deine eigene Grausamkeit hat syrische Männer zur Flucht in die Wüste gezwungen, von wo sie dich bekriegen – und das ist eine innere Angelegenheit Syriens. Auch mußt du alle ägyptischen Gefangenen freilassen, die Schäden, die ägyptische Kaufleute in den syrischen Städten erlitten haben, ersetzen und ihnen ihr Hab und Gut zurückgeben.«
Aziru aber raufte sich die Kleider, riß sich Haare aus dem Bart und rief erbittert: »Gewiß hat dich ein toller Hund gebissen, Sinuhe, daß du solchen Unsinn redest! Gaza muß an Syrien abgetreten werden, die Kaufleute Ägyptens haben selbst für die erlittenen Schäden aufzukommen, und die Gefangenen mögen nach gutem Brauch als Sklaven verkauft werden, was den Pharao natürlich nicht hindern soll, sie loszukaufen, falls er genügend Gold zu diesem Zwecke besitzt.«
Ich sagte zu ihm: »Wenn du Frieden schließest, kannst du die Mauern und Türme deiner Städte hoch und mächtig bauen, so daß du die Hetiter nicht mehr zu fürchten brauchst, und Ägypten wird dich stützen. Wahrlich, die Kaufleute deiner Städte werden reich werden, wenn sie, ohne Steuern an Ägypten entrichten zu müssen, mit diesem Lande Handel treiben dürfen; und die Hetiter können sie dabei nicht stören, weil sie keine Kriegsschiffe besitzen. Falls du Frieden schließest, Aziru, sind alle Vorteile auf deiner Seite; denn die Bedingungen des Pharao sind gemäßigt, und ich kann nicht darum feilschen.«
So redeten wir und besprachen die Friedensfrage Tag für Tag. Wiederholt zerraufte sich Aziru die Kleider, streute sich Asche ins Haar, nannte mich einen schamlosen Räuber und beweinte das Schicksal seines Sohnes, weil dieser zweifellos, von Ägypten ausgeplündert, als Bettler in einem Straßengraben enden würde. Einmal verließ ich sogar sein Zelt, rief nach einer Sänfte und einer Eskorte, um nach Gaza aufzubrechen. Ich war schon im Begriff, die Sänfte zu besteigen, als mich Aziru zurückrufen ließ. Ich glaubte jedoch, daß ihm als Syrier dieses Markten und Feilschen großen Spaß bereitete und er sich einbildete, mich mit jedem Tage mehr zu übertölpeln und neue Vorteile zu gewinnen, weil ich Zugeständnisse machte. Er konnte ja nicht ahnen, daß mir der Pharao befohlen hatte, den Frieden um jeden Preis zu erkaufen, selbst wenn Ägypten dabei verarmen sollte.
Deshalb wahrte ich meine Selbstsicherheit und erlangte bei den Unterhandlungen große Vorteile für den Pharao. Die Zeit arbeitete für mich; denn die Uneinigkeit in Azirus Lager wuchs, mit jedem Tag verließen es neue Männer, um sich in ihre eigenen Städte zu begeben, und Aziru konnte sie nicht daran hindern, weil seine Macht noch nicht fest genug geschmiedet war. So kamen wir schließlich so weit, daß er als äußerste Bedingung folgenden Vorschlag machte: die Mauern Gazas sollen abgerissen und der König von Gaza durch ihn ernannt werden; doch sollte an des Königs Seite ein vom Pharao eingesetzter Ratgeber walten, und sowohl syrische als auch ägyptische Schiffe sollten nach Gaza segeln und dort, ohne Steuern zu zahlen, Handel treiben dürfen. Diesem Angebot konnte ich natürlich nicht zustimmen, da Gaza ohne Mauern für Ägypten wertlos sein und sich völlig in Azirus Gewalt befinden würde.
Als ich ihm kurz und bündig erklärte, daß ich nicht darauf einginge, und einen Geleittrupp nach Gaza verlangte, ward er sehr zornig, trieb mich aus dem Zelt hinaus und schleuderte mir alle Lehmtafeln nach. Aber er ließ mich trotzdem nicht abreisen, und ich vertrieb mir die Zeit im Lager, indem ich Kranke heilte und ägyptische Gefangene loskaufte, die als Träger und als Schlepper von Lastschlitten schwer gelitten hatten. Auch einige Frauen kaufte ich los, anderen aber reichte ich eine Arznei, die sie entschlafen ließ; denn der Tod war für sie besser als das Leben, nachdem die Hetiter sie gemartert hatten. So verstrich die Zeit, und zwar zu meinem Vorteil. Denn ich hatte dabei nichts einzubüßen, während Aziru mit jedem Tag mehr zu verlieren hatte, so daß er sich in seiner Ungeduld das Silbernetz vom Barte riß, schwarze Büschel aus dem Haare raufte und mich wegen meiner Unnachgiebigkeit mit häßlichen Namen überschüttete.
Ich muß erwähnen, daß Aziru mich bespitzeln und jeden meiner Schritte genau überwachen ließ; denn er beurteilte mich nach sich selbst und befürchtete, ich könnte mit seinen Hauptleuten Ränke schmieden, um ihn seines Kopfes zu berauben. Das wäre auch eine leichte Sache gewesen; aber ich kam nicht einmal auf den Gedanken, weil mein Herz das Herz eines Unschuldslammes und er mein Freund war. Trotzdem drangen eines Nachts zwei Meuchelmörder in das Zelt Azirus und verletzten ihn mit ihren Messern; doch er blieb am Leben und tötete den einen, und sein Söhnchen erwachte und stach dem anderen sein kleines Schwert in den Rücken, so daß auch dieser umkam.
Am folgenden Tage berief mich Aziru in sein Zelt und beschuldigte mich mit fürchterlichen Ausdrücken. Alsdann aber ging er auf meine Friedensvorschläge ein, und im Namen des Pharao schloß ich mit ihm und allen Städten Syriens Frieden. Gaza blieb in Ägyptens Gewalt, die Niederwerfung der Freischärler wurde Aziru überlassen und dem Pharao das Vorrecht zugesprochen, die ägyptischen Gefangenen und Sklaven loszukaufen. Zu diesen Bedingungen ließen wir auf Lehmtafeln einen Vertrag über ewige Freundschaft zwischen Ägypten und Syrien einritzen und bestätigten ihn im Namen aller tausend Götter Ägyptens und aller tausend Götter Syriens und schließlich noch in demjenigen Atons. Aziru fluchte fürchterlich und rief alle Gottheiten um Hilfe an, als er das Siegel über den weichen Lehm rollte, und auch ich raufte mir die Kleider und weinte bitterlich, als ich mein ägyptisches Siegel in den Lehm drückte. Schließlich aber waren wir beide zufrieden, Aziru machte mir viele Geschenke, und ich versprach, ihm selbst, seiner Gemahlin und seinem Sohn mit den Friedensschiffen von Ägypten ebenfalls zahlreiche Gaben zu senden.
So trennten wir uns in Eintracht. Aziru umarmte mich und nannte mich seinen Freund, und beim Abschied hob ich seinen schönen Knaben auf den Armen hoch, lobte seine Tapferkeit und berührte seine rosigen Wangen mit meinem Mund. Doch wußten sowohl Aziru als auch ich in unseren Herzen, daß der Vertrag, den wir für Zeit und Ewigkeit eingegangen waren, nicht einmal den Lehm wert war, auf dem er geschrieben stand. Denn jener hatte den Frieden erklärt, weil er ganz einfach dazu gezwungen war, und Ägypten wiederum hatte den Frieden auf Wunsch des Pharao Echnaton geschlossen. Der Friede aber blieb in der Luft, ein Raub der Winde: alles hing davon ab, in welche Richtung sich die Hetiter von Mitani aus wenden würden, vieles auch vom Mut Babyloniens und von den Kriegsschiffen Kretas, die den Handel zur See schützen sollten.
Jedenfalls begann Aziru seine Soldaten zu entlassen, hieß einen Geleittrupp mich nach Gaza begleiten und erteilte zugleich den Befehl, daß die vor Gaza stehenden Truppen die zwecklose Belagerung der Stadt aufgeben sollten. Doch ehe ich Gaza erreichte, war ich dem Tode näher und von größerer Gefahr bedroht als je zuvor auf dieser schrecklichen Reise. Als sich nämlich meine Begleiter, Palmzweige schwenkend, den Toren Gazas näherten und riefen, der Friede sei geschlossen, ließen uns die ägyptischen Verteidiger der Stadt nahe herangekommen, um alsdann Pfeile auf uns abzuschießen und Speere gegen uns zu schleudern. Ihre Wurfmaschinen schmetterten dröhnend so große Steine auf uns herab, daß ich wahrlich glaubte, meine letzte Stunde habe geschlagen. Der waffenlose Soldat, der mich mit seinem Schild schützte, wurde von einem Pfeil in den Hals getroffen und sank blutend zu Boden, während seine Kameraden die Flucht ergriffen; mir aber lähmte der Schrecken die Knie, so daß ich mich wie eine Schildkröte unter dem Schild verkroch und weinte und jammerte. Da mich die ägyptischen Soldaten des Schildes wegen von den Mauern nicht mit ihren Pfeilen erreichen konnten, gossen sie kochendes Pech aus großen Gefäßen herab, das zischend und brennend auf mich zufloß. Zum Glück schützten mich einige Steinblöcke, so daß ich bloß an Händen und Knien, die es allerdings nicht mehr nötig gehabt hätten, Brandwunden erlitt.
Während dieses ganzen Schauspiels lachten die Soldaten Azirus so unbändig, daß sie umfielen und sich vor Lachen auf dem Boden wanden. Vielleicht war der Anblick wirklich lächerlich, obschon ich nichts zu lachen hatte. Schließlich ließ ihr Befehlshaber die Hörner blasen; und vielleicht hatte auch mein Gewinsel die Ägypter erweicht: sie erklärten sich bereit, mich in die Stadt einzulassen. Doch taten sie mir keineswegs ein Tor auf, sondern ließen von der Mauer an einem Schilfseil einen Korb herab, in den ich mit meinen Lehmtafeln und meinem Palmzweig hineinkroch, um darin emporgezogen zu werden. Ich zitterte vor Angst so sehr, daß der Korb zu schaukeln begann: denn die Mauer war ungewöhnlich hoch – meines Erachtens viel zu hoch. Aus diesem Grund lachten die Soldaten Azirus noch mehr über mich, so daß ihr Gelächter hinter mir tönte wie das Dröhnen eines sturmgepeitschten Meeres beim Anprall an die Klippen.
Wegen all dieser Vorfälle machte ich dem Befehlshaber der Garnison von Gaza scharfe Vorwürfe; aber er war ein barscher, starrsinniger Mann und behauptete, von Seiten der Syrier so viel Falschheit und Betrug ausgesetzt gewesen zu sein, daß er das Stadttor nur auf ausdrücklichen Befehl Haremhabs öffnen würde. Er glaubte mir auch nicht, daß der Friede geschlossen sei, obwohl ich ihm alle meine Lehmtafeln zeigte und im Namen des Pharao zu ihm sprach; denn er war ein einfacher, eigensinniger Mensch, ohne dessen Einfalt und Starrköpfigkeit Ägypten die Stadt Gaza sicherlich längst verloren hätte, weshalb ich keinen Grund besaß, ihm allzu harte Vorwürfe zu machen. Nachdem ich an der Mauer die zum Trocknen aufgehängten Häute gefangener Syrier gesehen, hielt ich es für das Beste, zu schweigen und ihn nicht zu reizen, hörte mit Tadeln auf, obgleich meine Würde sehr darunter gelitten, daß man mich an einem Schilfseil die Mauer emporgezogen hatte.
Von Gaza segelte ich über das Meer nach Ägypten zurück. Für den Fall, daß wir feindlich gesinnten Seefahrern begegnen sollten, ließ ich den Wimpel des Pharao und alle Friedenswimpel am Mäste hissen, so daß mich die Seeleute tief verachteten und behaupteten, unser Schiff schaukle gleich einer Hure bemalt und aufgetakelt auf den Wellen. Als wir den Strom erreichten, versammelten sich die Menschen an den Ufern, schwenkten Palmzweige und priesen den Frieden. Mir selbst huldigten sie als dem Gesandten des Pharao, der ihnen den Frieden brachte – bis die Seeleute schließlich vergaßen, daß ich in einem Korb die Mauern von Gaza emporgehißt worden war, und mich wieder mit Ehrfurcht behandelten. Als wir nach Memphis kamen, sandte ich ihnen viele Krüge Wein und Bier, damit sie noch gewisser jenes unangenehme und für meine Würde schädliche Ereignis vergäßen.
Haremhab las die Lehmtafeln und zollte mir großes Lob für meine Fähigkeit als Unterhändler. Darüber staunte ich sehr, weil es sonst nicht seine Art war, meine Handlungen zu loben, und er im Gegenteil meist unzufrieden mit mir war. Ich verstand ihn erst, als ich erfuhr, daß die Kriegsschiffe Kretas den Befehl erhalten hatten, nach Kreta zurückzusegeln. Dadurch wäre Gaza, wenn der Krieg weitergedauert hätte, binnen kurzem in Azirus Hände gefallen. Denn ohne Seeverbindung war die Stadt verloren, und es hätte sich für Haremhab nicht gelohnt, den Versuch zu machen, sie mit den Truppen auf dem Landweg zu erreichen, weil die Leute im Herbst in der Wüste verdurstet wären. Deshalb pries mich Haremhab so rückhaltlos und sandte eilends zahlreiche Schiff mit Truppen, Lebensmitteln und Waffen nach Gaza.
Während meines Aufenthaltes bei Aziru hatte König Burnaburiasch von Babylonien auf dem Seeweg einen Gesandten mit Gefolge und vielen Geschenken nach Memphis geschickt. Ich nahm ihn mit auf das Schiff des Pharao, das mich in Memphis erwartete. Wir reisten zusammen stromaufwärts, und die Fahrt war uns beiden angenehm; denn er war ein ehrwürdiger Greis mit einem bis auf die Brust herabwallenden seidigen weißen Bart und besaß große Kenntnisse. Wir sprachen über Sterne und Schafsleber, und es fehlte uns nicht an Gesprächsstoff; denn über die Sterne und über die Leber des Schafes kann der Mensch sein Leben lang reden, ohne daß dieser umfangreiche Stoff erschöpft würde.
Aber wir sprachen auch von politischen Angelegenheiten, und ich merkte, daß er große Furcht vor der wachsenden Macht der Hetiter hegte. Zwar behauptete er, die Priester Marduks hätten prophezeit, daß die Macht der Hetiter ihre Grenze erreichen und nicht einmal mehr hundert Jahre währen würde, und daß von Westen ein weißes Barbarenvolk auftauchen und sich über sie werfen und ihr Reich vernichten würde, als wäre es überhaupt nie dagewesen. Der Gedanke, daß das Reich der Hetiter in hundert Jahren verschwunden wäre, bedeutete jedoch nur einen geringen Trost für mich, der ich geboren war, zur Zeit seiner Macht zu leben. Ebenso fragte ich mich, wie wohl ein Volk aus dem Westen kommen könne, da es im Westen doch nur die Meeresinseln gab. Trotzdem mußte ich es glauben, weil die Sterne es vorausgesagt hatten und ich mit eigenen Augen und Ohren so viel Wunder in Babylon erfahren hatte, daß ich den Sternen mehr Glauben schenkte als meinen eigenen Kenntnissen.
Er hatte vom feinsten Wein der Berge mitgebracht, an dem wir unsere Herzen labten, und er versicherte, daß immer neue Zeichen und Vorboten im Turm des Marduk auf überzeugende Weise darlegten, daß ein Weltjahr allmählich zu Ende ging. Somit wußten er und ich, daß wir im Sonnenuntergang der Welt lebten, daß die Nacht im Anzug war, daß viele Umwälzungen bevorstanden und Völker von der Erdoberfläche weggefegt würden, wie es bereits mit den Mitani geschehen war, daß alte Götter sterben müßten, bis neue geboren würden, und daß ein neues Weltjahr bevorstand. Er fragte mich mit großer Wißbegierde über Aton aus und schüttelte sein Haupt und strich sich den weißen Bart, als ich ihm von diesem Gott erzählte. Denn von Aton gab es keine Bilder, vor ihm waren alle Menschen gleich, und er nährte sich nicht von Opfern, sondern von der gegenseitigen Liebe der Menschen, weil alle Menschen, welcher Hautfarbe und Sprache sie auch sein mochten, vor Aton Brüder waren und für ihn kein Unterschied zwischen Reichen und Armen, zwischen Edelleuten und Sklaven bestand.
Der babylonische Gesandte gab zu, daß ein solcher Gott sich noch nie zuvor auf Erden offenbart hatte und daß eben deshalb das Erscheinen Atons den Anfang vom Ende bedeuten konnte; denn noch nie zuvor hatte der Greis von einer so gefährlichen und schrecklichen Lehre reden hören. Er sagte, daß durch Atons Lehre der Fußboden zur Zimmerdecke werden und die Türen nach außen aufgingen und somit der Mensch auf dem Kopf stehe und rückwärts gehe. Vor seinen Kenntnissen und seiner Weisheit verstummte ich; denn er kam aus Babylon, der Wiege aller irdischen und himmlischen Weisheit, und ich verehrte ihn sehr und wollte vermeiden, daß er mich meiner Torheit wegen verachtete. Deshalb verriet ich ihm nichts von meinem Gedanken, daß das Erscheinen Atons und der Glaube des Pharao Echnaton vielleicht eine nie wiederkehrende Gelegenheit für alle Völker bedeute. Auch sah ich selbst die Eitelkeit dieses Gedankens ein, da ich mit von brennendem Pech versengten Händen und Knien und mit der Erinnerung an verstümmelte Leichen aus dem Krieg zurückkehrte. Nach all diesen Erlebnissen sagte mir meine Vernunft, daß die Menschen einander keineswegs als Brüder behandelten, sondern jeder ein reißender Löwe für den anderen war.
So langten wir nach angenehmer Fahrt in Achetaton an, und ich glaubte bei meiner Rückkehr weiser zu sein als vor der Reise.
3
Während meiner Abwesenheit hatte der Pharao wieder an Kopfschmerzen gelitten, und es hatte die Unruhe an seinem Herzen genagt, weil er fühlte, daß alles, was seine Hände berührten, in Scherben ging. Sein Leib brannte und glühte so heiß vom Feuer seiner Gesichte, daß er vor innerer Unrast dahinsiechte und immer bleicher wurde. Um ihn zu beruhigen, hatte der Priester Eje beschlossen, im Herbst nach der Getreideernte, wenn der Strom zu steigen begann, das dreißigjährige Gedenkfest zu veranstalten. Es hatte nichts zu bedeuten, daß Pharao Echnaton noch lange keine dreißig Jahre auf dem Thron saß; denn es war schon seit geraumer Zeit Sitte gewesen, daß der Pharao das dreißigjährige Fest feiern konnte, wann es ihm gerade beliebte. So hatte auch sein Vater es wiederholt abgehalten, und daher widerstritt diese Feier nicht der Wahrheitsliebe des Pharao Echnaton.
Zu dem bevorstehenden Fest waren viele Leute nach Achetaton gekommen. Eines Morgens, als der Pharao am Ufer des heiligen Weihers lustwandelte, warfen sich zwei Meuchelmörder auf ihn, um ihn mit Messern umzubringen. Am Strand aber saß ein junger Knabe, der Enten zeichnete. Er war ein Schüler des Thotmes; dieser ließ seine Zöglinge nicht nach Vorlagen, sondern nach der Natur zeichnen, was sehr schwierig war, weil sie dabei das, was sie sahen, und nicht bloß das, was sie wußten, darstellen mußten. Dieser Knabe nun wehrte mit einem Zeichenstift als einziger Waffe so lange die Messer der Meuchelmörder ab, bis die Wächter herbeieilten, um das Leben des Pharao zu retten, so daß er nur einen Stich in die Schulter erhielt. Der Knabe jedoch starb, und sein Blut floß Pharao Echnaton in die Hände. So offenbarte sich der Tod dem Pharao, der ihn früher nicht gekannt: während das Blut in seine Hände rann, sah er in der herbstlichen Pracht seines Gartens, wie seinetwegen der Tod die Augen des Knaben sich verschleiern und das Kinn herabfallen ließ.
Ich wurde in aller Eile geholt, um die Wunde des Pharao zu verbinden, die jedoch ungefährlich war und rasch heilte. So kam es, daß ich die beiden gefangenen Meuchelmörder sah: der Schädel des einen war rasiert, und sein Gesicht glänzte von heiligem Öl, während dem anderen einst wegen eines schimpflichen Verbrechens die Ohren abgeschnitten worden waren und er niemand mehr offen in die Augen sehen konnte. Aber noch während sie von den Wächtern mit Schilfseilen gebunden wurden, rissen sie wie Rasende an ihren Fesseln, stießen im Namen Ammons fürchterliche Flüche aus und schwiegen auch nicht, als die Wächter sie mit den blauen Schäften ihrer Speere über den Mund schlugen, so daß das Blut daraus strömte. Zweifellos waren sie von den Priestern verzaubert und spürten keinen Schmerz. Das war ein schreckliches Ereignis. Nie zuvor hatte man gehört, daß jemand aus der Mitte des Volkes gewagt hätte, die Hände gegen den Pharao zu erheben. Wohl mochte es vorgekommen sein, daß Pharaonen in früheren Zeiten in ihrem goldenen Haus eines unnatürlichen Todes starben; doch war dies niemals offen geschehen, sondern durch Gift oder eine dünne Schnur oder durch Ersticken mit einem Teppich, so daß keine Spuren blieben und alles vor dem Volk verheimlicht werden konnte. Ich hatte lange genug in dem goldenen Haus gelebt, um zu wissen, daß sich dergleichen zugetragen und vielleicht auch einmal einem Pharao gegen seinen Willen der Schädel geöffnet worden war. Aber nie hatte jemand am hellen Tag dem Pharao nach dem Leben getrachtet. Dieses Ereignis konnte nicht verleugnet werden, weil es zu viele Zeugen gab und Pharao Echnaton keinen von ihnen umbringen oder in die Gruben verschicken lassen wollte, um seine Zunge für immer zum Schweigen zu bringen.
Nach diesem Geschehnis erklärten die Priester Amnions dem Volk und ihren Getreuen, daß es eine Gott wohlgefällige Tat sei, die Hand gegen den falschen Pharao zu erheben, und daß derjenige, der ihn umbrächte, das ewige Leben erlangen würde, selbst wenn sein Leib nicht einbalsamiert werden könnte. In ihren geheimen Reden verkündeten sie nämlich, daß Pharao Echnaton ein falscher Pharao sei, und deshalb dürfe ein jeder Hand an ihn legen. Gegen einen richtigen Pharao hätte natürlich niemand die Tat gewagt; denn ein solcher Mensch hätte, wie das Volk glaubte, für ewige Zeiten alle Qualen der Unterwelt im Rachen des Verschlingers erdulden müssen.
Die beiden Gefangenen wurden in Anwesenheit des Pharao verhört, verweigerten aber jede Aussage. Doch brachte man in Erfahrung, daß sie aus Theben gekommen waren und sich am Abend zuvor im Park versteckt hatten. Allein der Name Theben verriet ihre Auftraggeber; aber sie gestanden nichts, sondern öffneten den Mund nur, um Ammon laut anzurufen und den Pharao zu verfluchen, bis die Wächter sie mit den Speerschäften ins Gesicht schlugen. Als Pharao Echnaton den Namen des verdammten Gottes vernahm, geriet er sogar in solche Erbitterung, daß er den Wächtern gestattete, die Gefangenen zu schlagen, bis ihre Gesichter aufs übelste zugerichtet waren und ihnen die Zähne aus dem Munde flogen. Die Mordgesellen aber weigerten sich immer noch zu sprechen und riefen bloß Ammon um Hilfe an, und der Pharao erlaubte nicht, daß man sie weiterquäle. Da riefen sie trotzig:
»Laß uns peinigen, falscher Pharao! Laß unsere Glieder zerquetschen, unser Fleisch zerfetzen, unsere Haut verbrennen: wir spüren keinen Schmerz!«
Ihre Verstocktheit war so schrecklich, daß der Pharao das Gesicht abwandte und mit seinem Herzen kämpfte. Und er gewann seine Beherrschung wieder und schämte sich sehr, daß er den Wächtern erlaubt hatte, die Gesichter der Gefangenen zu zerschlagen. Deshalb sagte er:
»Laßt sie los, denn sie wissen nicht, was sie tun!«
Aber als die Wächter die Schilfseile gelöst hatten und die Gefangenen befreit waren, fluchten diese noch ärger als zuvor, Schaum stand ihnen um den Mund, und sie riefen: »Laß uns töten, verfluchter Pharao! Um Ammons willen schenke uns den Tod, falscher Pharao, damit wir das ewige Leben erlangen!«
Als sie einsahen, daß der Pharao sie ungestraft laufen lassen wollte, rissen sie sich aus den Händen der Wächter los und rannten mit dem Kopf so heftig gegen die Hofmauer, daß sie sich die Schädel zerschmetterten und kurz darauf verschieden. So groß war die geheime Macht Ammons über die Herzen der Menschen.
Nach diesem Ereignis wußte jedermann in dem goldenen Haus, daß Pharao Echnaton seines Lebens nicht mehr sicher war. Seine Getreuen verstärkten daher die Bewachung und ließen ihn nicht mehr aus den Augen, obgleich er immer noch allein und ohne Gefolge in den Gärten und am Ufer lustwandeln wollte. Sicherlich vermeinte er auch oft, allein zu sein, während unsichtbare Augen jeden seiner Schritte bewachten. Diejenigen, die an Aton glaubten, wurden immer heftiger im Glauben, während diejenigen, die sich ihm angeschlossen hatten, um Reichtümer und hohe Ämter zu gewinnen, um ihre Stellung zu fürchten begannen und ihre Vorsicht im Dienst des Pharao vergrößerten. So nahm der Glaubenseifer in beiden Reichen zu, und die Menschen erhitzten sich ebensosehr Atons wie Ammons wegen, so daß Aton die Frau vom Mann, den Vater vom Sohn und den Bruder von der Schwester trennte.
Das zeigte sich zuerst in Theben, wo als Zeichen der glückbringenden Macht des Pharao zur dreißigjährigen Gedenkfeier die gleichen Festzüge und Zeremonien wie in Achetaton veranstaltet wurden. Körbe voll Goldsand und Straußenfedern wurden nach Theben gebracht, Panther wurden in Käfigen dorthingeschleppt und Giraffen den Strom entlangbefördert, kleine Meerkatzen und bunte Papageien folgten dem Zuge, damit das Volk die Macht und den Reichtum des Pharao sehe und ihn preise. Aber die Bevölkerung Thebens betrachtete schweigend und freudlos den Festzug, auf den Straßen kam es zu Prügeleien, das Kreuz Atons wurde seinen Trägern von den Kleidern gerissen, und einige Atonpriester, die sich ohne Bewachung unter die Menge gewagt hatten, wurden mit Keulen erschlagen.
Das schlimmste aber war, daß die Gesandten der ausländischen Mächte dem Zuge folgten, alles mitansahen und auch von dem Mordversuch gegen den Pharao erfuhren, da der Vorfall seines Starrsinns wegen nicht hatte vertuscht werden können. Ich glaube aber, daß der Gesandte Azirus bei seiner Rückkehr nach Syrien seinem Herrn allerlei angenehme Dinge zu berichten wußte. Außerdem nahm er eine Menge kostbarer Geschenke des Pharao an Aziru mit, und auch ich schickte durch ihn Gaben an Aziru und seine Familie. Seinem Sohn sandte ich eine kleine, aus Holz geschnitzte Armee mit schönbemalten Speerwerfern und Bogenschützen, Rossen und Streitwagen; die Hälfte der kriegerischen Holzfigürchen hatte ich als Hetiter und die andere Hälfte als Syrier schnitzen lassen, in der Hoffnung, er werde sie beim Spielen gegeneinander aufstellen. Solche Holzschnitzereien erhielt man billig, seitdem alle Ammontempel und Werkstätten geschlossen worden und ihre Holzschnitzer arbeitslos geworden waren. Jedenfalls war mein Geschenk für den Knaben geschickt angefertigt: die Augen der Soldaten waren aus schwarzem Basalt und die der Offiziere aus Edelsteinen, die Wagen der Hauptleute vergoldet und ihre kleinen Peitschen aus Gold und Silber; es war, wie ich glaube, ein königliches Geschenk, für das ich übrigens mehr bezahlte als für die Gaben an Aziru, weil der Sohn seinem Herzen näherstand als sein eigener Vorteil.
Pharao Echnaton litt in dieser Zeit schwer und kämpfte mit seinem Herzen. Viele Zweifel erschütterten seinen Glauben, und im Dunkel der Nacht klagte er zuweilen bitterlich, daß seine Gesichte erloschen seien und Aton ihn verlassen habe. Schließlich aber gelang es ihm, aus dem an ihm begangenen Mordversuch Kraft zu schöpfen, und er erhitzte sich selbst in dem Glauben, daß seine Aufgabe größer und sein Werk wichtiger denn je seien, da in Ägypten noch so viel Finsternis und Furcht herrschten. Er kostete das bittere Brot des Hasses und trank das salzige Wasser der Gehässigkeit: das Brot vermochte seinen Hunger nicht zu stillen und das Wasser seinen Durst nicht zu löschen; aber er bildete sich ein, aus Güte und Liebe zu handeln, wenn er die Ammonpriester härter als früher verfolgte und Leute, die den Namen Ammons laut aussprachen, bestrafen und in die Bergwerke verschicken ließ. Am meisten litten natürlich die einfachen und armen Leute unter der Verfolgung; denn die geheime Macht der Ammonpriester war groß, und die Wächter des Pharao wagten diese nicht anzurühren, sondern drückten ein Auge zu, sobald es um sie ging. Daher säte der Haß neuen Haß, und die Unruhe in Ägypten ward größer als zuvor.
Um seine Macht zu festigen, verheiratete Pharao Echnaton, der keinen Sohn besaß, seine beiden ältesten Töchter Meritaton und Anchesenaton mit Söhnen getreuer Edelleute an seinem Hof. Meritaton zerbrach den Krug mit einem Knaben namens Sekenre, der königlicher Mundschenk war, sein ganzes Leben in dem goldenen Haus verbracht hatte und an Aton glaubte. Er war ein fünfzehnjähriger Heißsporn, der wie der Pharao Wachträume hatte; sein Wille aber war schwach und demjenigen des Pharao in keiner Weise gewachsen, weshalb er dem Pharao gefällig und zu Diensten war. Daher ließ Pharao Echnaton diesen Knaben mit der königlichen Kopfbedeckung krönen und ernannte ihn zu seinem Nachfolger, weil er nicht mehr glaubte, einen eigenen Sohn zu bekommen.
Anchesenaton zerbrach ihrerseits den Krug mit einem zehnjährigen Knaben namens Thut, dem die Würde eines königlichen Stallmeisters und Überwachers der königlichen Bauten und Steinbrüche verliehen wurde. Er war ein schmächtiger, kränklicher Junge, der mit Puppen spielte, gerne Süßigkeiten aß und in jeder Beziehung folgsam und gelehrig war. Über ihn gab es nichts Schlechtes, aber auch nicht viel Gutes zu sagen; er glaubte alles, was man ihn lehrte, und wiederholte stets die Worte, die er zuletzt vernommen hatte. Diese beiden Knaben gehörten zu den vornehmsten in Ägypten, und als der Pharao seine Töchter mit ihnen verheiratete, glaubte er dadurch ihre edlen und mächtigen Familien an sich und Aton gebunden zu haben. Die beiden Jungen gefielen ihm, weil sie keinen eigenen Willen besaßen: denn in seinem Glaubenseifer duldete der Pharao keinen Widerspruch mehr und hörte auch nicht auf seine Ratgeber. So ging äußerlich alles unverändert weiter. Aber der Mordversuch gegen den Pharao war ein schlechtes Zeichen, und noch schlimmer war der Umstand, daß der Pharao seine Ohren allen irdischen Stimmen verschloß und nur auf seine eigenen Eingebungen hören wollte. Das Leben in Achetaton ward drückend, die Straßengeräusche gedämpft, das Lachen der Menschen seltener als früher und ihre Stimmen leiser – als ob eine geheime Furcht auf der Stadt der Himmelshöhe laste. Ich erlebte es oft, daß ich beim Geräusch der Wasseruhr mitten in der Arbeit aus meinen Gedanken aufwachte und beim Hinausblicken merkte, wie sich plötzlich eine Totenstille über Achetaton ausbreitete, so daß kein Laut, kein Räderrollen, kein Vogelgezwitscher, kein Ruf eines Dieners, nichts außer dem Rauschen der Wasseruhr, welche die unaufhörlich rinnende Zeit maß, zu vernehmen war. In solchen Augenblicken dünkte mich das Geräusch der Wasseruhr ein unheilverkündender Laut, als ginge eine im voraus bemessene Zeit zur Neige, obgleich ich mein Herz töricht schalt und mir selbst versicherte, daß die Zeit nie zu Ende geht und das Wasser in der Uhr nie versiegt. Aber dann fuhren drunten auf der Straße die Wagen wieder an meinem Haus vorbei, farbige Federbüsche wedelten auf den Köpfen der Pferde, und in das frohe Rollen der Räder mischten sich die Rufe der im Küchenhof mit Geflügelrupfen beschäftigten Diener. Da beruhigte ich mich wieder und glaubte, nur einen bösen Traum gehabt zu haben.
In nüchternen Augenblicken hatte ich jedoch das Gefühl, die Stadt Achetaton sei bloß eine schöne Schale um einen bereits wurmstichigen Kern. Das Gespenst der Zeit nagte das Mark aus dem frohen Leben, die Freude erlosch, und das Lachen erstarb in Achetaton. Deshalb begann sich mein Herz nach Theben zurückzusehnen. Ich brauchte nicht lange nach einem Vorwand für eine Rückkehr dorthin zu suchen: mein Herz lieferte mir freigebig eine Menge Gründe, deren Gewicht Pharao Echnaton nicht herabsetzen konnte. So erging es noch manchem, der den Pharao von Herzen zu lieben glaubte; viele verließen Achetaton, einige, um ihre Landgüter zu überwachen, andere, um Verwandte zu heiraten, ein Teil fuhr nach Memphis, ein Teil nach Theben. Viele kehrten von ihren Reisen nach Achetaton zurück; aber es gab auch manche, die nicht wiederkamen und sich nicht mehr davor fürchteten, die Gunst des Pharao zu verlieren, sondern mehr auf die geheime Macht Ammons vertrauten. Ich fuhr meines Reichtums wegen nach Theben, nachdem ich mir durch Kaptah zahlreiche Schriftstücke hatte senden lassen, die dem Pharao die Notwendigkeit meiner Anwesenheit in Theben bewiesen, so daß er mich ziehen ließ.
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Kaum befand ich mich wieder an Bord, um stromaufwärts zu segeln, als ich meine Seele wie von einem Zauber befreit fühlte. Wiederum war es Frühling, die Wasser waren gesunken, und die Schwalben flitzten behende über den schlammgelben Fluten. Der fruchtbare Schlamm hatte sich über die Äcker gebreitet, die Obstbäume blühten, und ich beschleunigte meine Fahrt, das Herz voll süßer Erregung, als wäre ich ein Bräutigam, der im Lenz zu seiner Schwester reist. So ist der Mensch der Sklave seines eigenen Herzens und schließt die Augen vor Dingen, die ihm unbehaglich sind, und glaubt an das, was er hofft. Vom Zauber und schleichenden Schrecken Achetatons befreit, jubelte mein Herz wie ein aus dem Käfig freigelassener Vogel. Denn es ist schwer für einen Menschen, an den Willen eines anderen gekettet zu sein, und jedermann, der in Achetaton lebte, fühlte sich durch den hitzigen, herrischen Willen und die launischen Ausbrüche des Pharao geknechtet. Für mich war er ein Mensch, weil ich sein Arzt war; deshalb fiel mir die Sklaverei noch schwerer als denjenigen, für die er der Pharao war, und vor allem schwerer als denjenigen, für die er ein Gott war und die die Sklaverei des Herzens daher am leichtesten ertrugen.
Ich jubelte, weil ich wieder mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören, mit eigener Zunge reden und nach meinem eigenen Willen leben durfte. Eine solche Freiheit ist für den Menschen durchaus nicht schädlich; mich machte sie jedenfalls auf dieser Reise stromaufwärts demütig und ließ die Bitterkeit in meinem Herzen schmelzen, so daß ich den Pharao schließlich im rechten Licht sah. Je weiter ich mich von ihm entfernte, um so klarer sah ich ihn, wie er wirklich war, und desto mehr liebte ich ihn und wünschte ihm alles Gute. Je mehr ich mich Theben näherte, um so lebendiger strömten die Erinnerungen auf mich ein und desto größer wurden Pharao Echnaton und sein Aton in meinem Herzen und verdrängten daraus die Schatten aller anderen Götter, auch Ammons.
So glaubte ich an das, was ich erhoffte, und freute mich in meinem Herzen innig über meine Gedanken und fühlte mich als ein guter, ja als ein besserer Mensch denn viele andere. Wenn ich ehrlich gegen mich selbst sein und der Wahrheit leben will, muß ich gestehen, daß ich mich in meinem Herzen sogar für einen besseren Menschen als Pharao Echnaton hielt, weil ich keinem Menschen absichtlich etwas Böses tat, niemand meinen Glauben aufzuzwingen versuchte und in den Tagen meiner Jugend Arme gepflegt hatte, ohne Geschenke dafür zu verlangen.
Während meiner Fahrt stromaufwärts und abends, wenn ich am Ufer anlegte, wo ich an Bord übernachtete, entdeckte ich überall ungewollte Spuren von dem Gott des Pharao Echnaton. Obgleich gerade Saatzeit war, lag die Hälfte der ägyptischen Äcker ungepflügt und unbesät, Unkraut und Disteln wucherten auf den Feldern, und die Überschwemmung hatte die Bewässerungsgräben mit Schlamm angefüllt, aber niemand diese gesäubert. Denn Ammon übte seine Macht auf die Menschenherzen aus, vertrieb die Siedler von seinem einstigen Boden und verfluchte auch die Äcker des Pharao, so daß Landwirte und Sklaven sie flohen und sich aus Angst vor Ammons Fluch in den Städten versteckten. Einige Ansiedler aber lebten noch, verängstigt und verbittert, in ihren Hütten, und ich redete mit ihnen und sagte: »Ihr Wahnwitzigen, weshalb pflügt und besät ihr eure Äcker nicht? Ihr müßt ja im Winter Hungers sterben!«
Sie aber betrachteten mich feindselig, weil meine Kleidung aus feinstem Linnen war, und antworteten: »Warum sollten wir säen, wenn doch das Brot, das auf unseren Äckern wächst, verflucht ist und den, der es verzehrt, umbringt, so wie das fleckige Getreide bereits unsere Kinder getötet hat?« So fern vom wirklichen Leben lag Achetaton, daß ich erst durch diese Siedler erfuhr, daß das fleckige Getreide den Kindern den Tod bringt. Noch nie zuvor hatte ich von einer solchen Krankheit gehört; sie war ansteckend, die Kindermägen waren aufgequollen und die Ärmsten unter traurigen Wehklagen gestorben, da weder die Ärzte noch die vom Volk nach alter Gewohnheit herbeigerufenen Zauberer sie zu retten vermocht hatten. Trotzdem war ich der Ansicht, daß sie eher von den Überschwemmungswassern stammte, die alle ansteckenden Krankheiten mit sich brachten, obgleich dieses eigenartige Übel nur für Kinder, nicht aber für Erwachsene tödlich war. Doch als ich diese Erwachsenen betrachtete, die sich nicht getrauten, ihr Äcker zu besäen, sondern sich lieber dem Hungertod aussetzen, sah ich, daß die Krankheit ihre Herzen hatte absterben lassen. Angesichts all dieser Dinge aber klagte ich nicht mehr Pharao Echnaton, sondern Ammon an, der das Leben der Menschen durch Furcht so vergiftete, daß ihnen der Tod besser als das Leben erschien.
Während ich so stromaufwärts nach Theben segelte, beobachtete ich alles mit offenen Augen; in fruchtbaren Gebieten, wo der Boden gepflügt und besät und die Aussaat in den Schlamm gesetzt wurde, sah ich Sklaven und Diener mit schweißtriefender Stirn und von Peitschenhieben gezeichnetem Rücken, die über ihre Herren murrten und ihre Gebieter verfluchten. Und in meinem Herzen dünkte mich dieses Unrecht auch nicht besser als die ungepflegten Äcker Atons und die Disteln auf den fruchtbaren Feldern. Aber die Rastlosigkeit trieb mich vorwärts und beschleunigte meine Reise; der Schweiß troff meinen Ruderern von der Stirn, und sie zeigten mir vorwurfsvoll ihre geschwollenen, mit Blasen bedeckten Hände. Ich versuchte ihre Wunden durch Silber zu heilen und stillte ihren Durst durch Bier, weil ich gut sein wollte. Doch als sie mit verrenkten Hüften ruderten, hörte ich sie untereinander sprechen: »Warum sollen wir dieses fette Schwein rudern, wenn doch vor seinem Gott alle Menschen gleich sind? Er soll es nur einmal selbst versuchen, damit er weiß, wie das Rudern schmeckt! Möge seine Kehle austrocknen, mögen seine Hände schwellen: dann soll er versuchen, sie durch Silber zu heilen, wenn es ihm gelingt!«
Der Stock an meiner Seite mahnte mich ungeduldig; aber mein Herz war voll Güte, weil ich mich auf dem Weg nach Theben befand. Deshalb sann ich über ihre Worte nach und verstand, daß sie die Wahrheit sprachen. Da ging ich zu ihnen und sagte: »Ruderer, gebt mir auch ein Ruder!« Alsdann stellte ich mich neben sie, und bald fühlte ich die Wirkung des harten Holzes der Ruder: meine Hände schwollen und bedeckten sich mit Blasen, die zu Wunden wurden, mein Rücken krümmte sich, jedes Glied brannte wie Feuer, das Atmen tat mir weh in der Brust, und ich glaubte, mein Rückgrat werde entzweibrechen. Aber ich sprach zu meinem Herzen: »Solltest du vielleicht die freiwillig übernommene Arbeit aufgeben, damit dich deine Sklaven verlachen und verhöhnen? Sie selbst müssen Tag für Tag viel mehr ertragen. Koste also ihren Schweiß und ihre geschwollenen Hände bis zum letzten aus, damit du wissest, was das Leben eines Ruderers ist! Du, Sinuhe, verlangtest für dich ja einst einen gefüllten Becher!« Deshalb ruderte ich, bis ich am Umsinken war und die Diener mich auf mein Lager tragen mußten.
Am folgenden Tag ruderte ich von neuem mit hautlosen Händen, und die Ruderer lachten mich nicht länger aus, sondern ermahnten mich, aufzuhören, indem sie sagten: »Du bist unser Herr, und wir sind deine Sklaven. Rudere nicht mehr, sonst wird uns der Boden zur Decke und wir gehen mit den Füßen nach oben. Wahrlich, höre auf mit dem Rudern, unser guter Herr, Sinuhe, damit du nicht das Leben aushauchst! Schließlich muß es in allem eine Ordnung geben! Jeder Mensch hat seinen von den Göttern bestimmten Platz, und der deinige ist sicher nicht bei der Ruderstange.«
Ich aber blieb bis Theben neben ihnen am Ruder; meine Nahrung bestand aus ihrem Brot und ihrer Grütze, mein Trank war das herbe Bier der Sklaven, mit jedem Tag vermochte ich länger zu rudern, wurden meine Glieder geschmeidiger und freute ich mich mehr des Lebens, als ich merkte, daß mir die Anstrengung nicht mehr den Atem raubte. Meine Diener aber waren um mich besorgt und sagten zueinander: »Gewiß hat ein Skorpion unsern Herrn gestochen, oder er ist verrückt geworden, wie alle es in Achetaton werden, weil der Wahnsinn ansteckend wirkt, wenn man kein schützendes Amulett um den Hals trägt. Wir fürchten uns aber nicht vor ihm, denn wir tragen das Horn Ammons unter den Kleidern verborgen.« Ich war jedoch keineswegs verrückt und hatte auch nicht die Absicht, weiter als bis Theben zu rudern oder gar für mein Leben Ruderer zu werden; denn dieser Beruf war für mich zu anstrengend.
Auf diese Weise gelangten wir nach Theben, und schon weit draußen auf dem Strom strömte uns der Duft Thebens entgegen. Einen süßeren gibt es nicht für den, der dort geboren ward; denn er findet ihn köstlicher als Myrrhe. Ich hieß meine Diener mir die Hände mit heilenden Salben einreiben, mich waschen und mir die besten Kleider anziehen. Das Lendentuch war mir zu groß geworden; denn vom Rudern war ein Teil meines Bauches weggeschmolzen, so daß mir die Diener das Tuch mit Nadeln um die Hüften befestigen mußten, und sie klagten und meinten: »Unser Herr ist krank! Er hat seinen Bauch verloren, der das Zeichen der Vornehmheit ist. Wir müssen uns vor den Dienern anderer vornehmer Leute schämen, weil unser Herr keinen Bauch mehr hat.« Ich aber lachte sie aus und schickte sie in das einstige Haus des Kupferschmieds, damit sie Muti von meiner Ankunft in Kenntnis setzten; denn ich getraute mich nicht mehr, mein Haus unangemeldet zu betreten. Den Ruderern gab ich Silber, und sogar Gold gab ich ihnen und sagte: »Bei Aton, geht und eßt, daß eure Bäuche schwellen! Labt eure Herzen an gutem Bier und schönen Mädchen; denn Aton ist ein Freudenspender, der schlichte Genüsse liebt und mehr als den Reichen den Armen zugetan ist, weil ihre Freuden einfacher sind als die der Reichen.«
Doch als die Ruderer dies vernahmen, verfinsterten sich ihre Gesichter; sie kratzten das Schiffsdeck mit den Zehen, drehten mein Gold und Silber zwischen den Fingern und sprachen: »Wir wollen dich keineswegs beleidigen; aber dein Silber ist doch nicht etwa verfluchtes Silber und dein Gold verfluchtes Gold, da du von Aton zu uns sprichst? Verfluchtes Gold können wir nicht annehmen, weil es uns die Finger verbrennt und sich, wie jedermann weiß, in unserer Hand in Lehm verwandelt.« Das würden sie mir nie gesagt haben, wenn ich nicht mit ihnen gerudert hätte, wodurch ich mir ihr Vertrauen erobert hatte.
Ich beruhigte sie und sagte: »Beeilt euch, euer Silber und Gold in Bier umzuwandeln, falls ihr dergleichen befürchtet. Aber seid ohne Sorgen! Mein Gold ist kein verfluchtes Gold und mein Silber kein verfluchtes Silber: an den Stempeln könnt ihr sehen, daß es altes, echtes Gold und Silber ohne Beimischung von Achetatons Kupfer ist. Doch muß ich sagen, daß ihr törichte Leute seid, da ihr euch vor Aton fürchtet; denn niemand braucht Furcht vor ihm zu hegen.« Sie antworteten mir mit den Worten: »Wir hegen durchaus keine Furcht vor Aton. Wer sollte auch einen machtlosen Gott fürchten? Aber du weißt ganz gut, Herr, wen wir fürchten, obwohl wir uns des Pharao wegen nicht getrauen, seinen Namen laut auszusprechen.«
Die Ungeduld brannte in mir, und ich wollte mich nicht länger mit ihnen herumstreiten. Deshalb ließ ich sie gehen, und sie verzogen sich, hüpfend und lachend und Rudererlieder singend, in den Hafen hinauf. Auch ich hätte am liebsten gehüpft und gelacht und gesungen; aber die Sprünge hätten sich nicht für meine Würde geschickt, und der Gesang hätte heiser in meiner Kehle geklungen. Deshalb ging ich geradenwegs in den »Krokodilschwanz«, da ich zu ungeduldig war, um auf eine Sänfte zu warten. So sah ich Merit nach langer Trennung wieder, und ihr Anblick enttäuschte meine Sehnsucht nicht; denn in meinen Augen war sie schöner als je zuvor. Zwar muß ich zugeben, daß die Liebe wie jede andere Leidenschaft den Menschen Sand in die Augen streut, und Merit war nicht mehr jung; aber in der schönsten Reife ihres Sommers war sie meine Freundin, und kein Mensch auf Erden ist mir je näher gewesen als sie. Als sie mich erblickte, verneigte sie sich tief und hob die Arme; alsdann kam sie auf mich zu, legte mir die Hände auf die Schultern, streichelte mir die Wangen, lächelte und sprach: »Sinuhe, Sinuhe, was ist dir geschehen, daß deine Augen so klar sind und du den Bauch verloren hast?«
Ich antwortete ihr: »Merit, Geliebte, meine Augen sind klar durch die Sehnsucht und das Fieber der Liebe, und mein Bauch ist vor Schwermut geschmolzen; denn ich habe ihn auf dem Weg zu dir, meine Schwester, verloren.« Sie trocknete mir die Augen und sagte: »O Sinuhe, wie ist die Lüge doch so viel süßer als die Wahrheit, wenn der Mensch einsam und sein Frühling nutzlos verblüht ist. Doch wenn du da bist, erblüht mir ein neuer Lenz.«
Mehr will ich nicht über mein Zusammentreffen mit Merit berichten, weil ich auch von Kaptah erzählen muß. Sein Bauch war keineswegs geschmolzen, sondern noch gewaltiger als früher geworden, und noch mehr Schmuck und Ringe als zuvor klirrten ihm an Hals, Armen und Fußgelenken, und in das Goldblech, das sein blindes Auge deckte, hatte er Edelsteine einsetzen lassen. Als er mich sah, brach er in Tränen und Freudenrufe aus: »Gesegnet sei der Tag, der meinen Herrn nach Hause geführt!« Er geleitete mich in ein Hintergelaß und bot mir einen weichen Teppich zum Sitzen an, und Merit brachte uns vom Besten, was der »Krokodilschwanz« zu bieten vermochte, und wir freuten uns beide zusammen. Kaptah legte mir Rechnung über meinen Reichtum ab und sagte:
»Sinuhe, mein Herr, du bist weiser als alle anderen Menschen; denn du bist schlauer als die Getreidehändler, die bis jetzt noch nicht viele betrogen haben, während du sie letzten Frühling durch deine Schlauheit getäuscht hast – wenn auch der Skarabäus vielleicht seinen Anteil an der Sache hat. Wie du dich erinnern wirst, befahlst du mir, dein ganzes Getreide zur Aussaat unter die Siedler zu verteilen und nur Maß für Maß zurückzuverlangen, so daß ich dich für verrückt erklärte; denn mit dem Maßstab der Vernunft gemessen, war es der Einfall eines Toren. So wisse denn, daß du jetzt dank deiner Schlauheit doppelt so reich als zuvor bist und ich die Zahl deiner Reichtümer gar nicht mehr im Kopf behalten kann und von den Steuereinhebern des Pharao hart bedrängt werde; denn ihre Habgier und Frechheit ist ungezügelter als je. Als nämlich die Getreidehändler vernahmen, daß die Siedler Saatgut bekommen sollten, fiel der Getreidepreis sofort. Und noch mehr fiel er, als sich die Friedensgerüchte verbreiteten. Alle verkauften ihr Getreide, um ihre Verpflichtungen loszuwerden, die Getreidehändler erlitten große Verluste, ja viele von ihnen verarmten. Doch als die Preise billiger wurden, kaufte ich Getreide auf Lager, und zwar in noch viel größeren Mengen als früher, obwohl es noch nicht geschnitten und noch nicht einmal reif auf den Halmen war. Im Herbst sammelte ich dann auch gemäß deinem Befehl das verteilte Getreide Maß für Maß wieder ein, wodurch ich die früheren Lager von neuem angefüllt erhielt. Und ich kann dir, Herr, im Vertrauen sagen, daß es eine Lüge ist, zu behaupten, das Korn der Siedler sei fleckig: es ist ebenso rein wie jedes andere Getreide und für niemand schädlich. Deshalb glaube ich, daß die Priester und ihre Getreuen Blut in die Kornkästen gespritzt haben, wodurch das Getreide fleckig wurde und zu riechen begann. Das ist aber eine gefährliche Rede, und ich hoffe, daß du sie keinem verrätst; übrigens würde dir doch niemand Glauben schenken, weil alle fest davon überzeugt sind, daß das Getreide der Siedler verfluchtes Getreide und ihr Brot verfluchtes Brot ist. Dabei gereicht dir dieser Aberglaube zum Vorteil, Herr. Denn beim Nahen des Winters begannen die Preise wiederum zu steigen, weil Eje nach dem Friedensschluß Getreide nach Syrien verschiffte, um das babylonische Getreide von den dortigen Märkten zu verdrängen. Deshalb ist das Getreide noch nie so teuer gewesen wie augenblicklich, und unser Gewinn ist unermeßlich und steigt, je länger wir das Korn auf Lager halten. Nächsten Herbst wird der Hunger durch Ägypten schleichen, weil die Äcker der Siedler unbebaut sind, die Sklaven die Felder des Pharao fluchtartig verlassen und die Landleute ihre Getreidevorräte verstecken, damit sie nicht nach Syrien gesandt werden. Deswegen kann ich nicht umhin, Herr, deine große Schlauheit himmelhoch zu preisen! In Getreidegeschäften bist du mir überlegen.« Kaptah ereiferte sich immer mehr und fuhr fort: »Glücklich muß ich diese Zeit nennen, die den Reichen noch reicher gemacht und einen sogar bereichert, wenn man keinen Finger rührt! Auch die Getreidehändler jubeln wieder und halten vom Morgen bis zum Abend und vom Abend bis zum Morgen Gastmahle, bei denen der Wein in Strömen fließt; denn jeder, der Getreide auf Lager kauft, wird im Schlaf reich. Wir leben wahrlich in einer seltsamen Zeit: aus dem Nichts fließen Gold und Silber in meine Schreine und Kisten. Wisse zum Beispiel, daß ich durch den Verkauf leerer Krüge ebensoviel wie am Getreide verdient habe. Das ist kein sinnloses Gerede, sondern lautere Wahrheit, wenn es auch niemand glauben sollte. In ganz Ägypten gibt es nämlich Leute, die leere, gebrauchte Krüge aufkaufen und denen jeder Krug gut ist, so daß die Bierbrauer und die Weinbauern klagen und sich die Haare raufen, weil sie keine Krüge mehr haben. Wahrlich, es ist eine merkwürdige Zeit, in der der Mensch vom Nichts reich wird! Als ich davon erfuhr, gelang es mir, alle leeren Krüge in Theben aufzukaufen; ich stellte Hunderte von Sklaven an, um Krüge zu kaufen und zu sammeln – und wahrlich, die Leute schenkten meinen Sklaven gebrauchte Krüge, wenn sie diese nur wegtrugen und so mehr Platz auf den Höfen schufen. Wenn ich behaupte, diesen Winter tausend mal tausend leere Krüge verkauft zu haben, so übertreibe ich vielleicht, aber bestimmt nicht stark. Es lohnt sich auch gar nicht für mich zu lügen; denn die Wahrheit von den Krügen übertrifft meine besten Lügen.«
»Welcher Narr wird denn leere Krüge kaufen?« fragte ich.
Kaptah blinzelte schlau mit dem sehenden Auge und sagte: »Die Käufer behaupten, im Unteren Lande habe man eine neue Art erfunden, Fische in Salz und Wasser aufzubewahren; aber ich habe mich erkundigt und weiß, daß die Krüge nach Syrien gehen. Große Ladungen Krüge sind in Tanis gelöscht worden und werden von dort durch Karawanen nach Syrien befördert. Auch in Gaza hat man Krüge ausgeladen und nach Syrien verfrachtet. Was die Syrier aber mit den leeren Krügen anfangen, kann kein Mensch begreifen, obwohl ich dieses Rätsel schon manchem weisen Mann unterbreitet habe. Keiner kann verstehen, warum sie für gebrauchte Krüge ebensoviel wie für neue bezahlen, noch was sie eigentlich damit anfangen.«
Kaptahs Erzählung von den Krügen war überraschend. Aber ich zerbrach mir nicht den Kopf darüber; denn mir erschien die Getreidefrage weit wichtiger. Nachdem ich Kaptahs ganzen Rechenschaftsbericht vernommen, sagte ich daher: »Verkaufe, wenn nötig, alles was du hast, Kaptah, und kaufe dafür Getreide auf Lager, und zwar so große Mengen wie möglich, ohne nach dem Preis zu fragen. Aber kaufe keines, das noch nicht in der Erde gekeimt hat, sondern bloß Korn, das du mit eigenen Augen sehen und durch die Finger rinnen lassen kannst. Auch sollst du in Erwägung ziehen, ob man nicht das nach Syrien verkaufte Getreide zurückkaufen könnte. Denn selbst wenn der Pharao laut Friedensvertrag Korn nach Syrien senden muß, so braucht dieses Land doch nicht so viel Getreide, weil es auch welches aus Babylon erhält. Wahrlich: nächsten Herbst wird der Hunger über das Land Kêmet kommen, und deshalb sei der Mann verflucht, der aus den Speichern des Pharao Korn an Syrien verkauft, um den Wettbewerb mit dem babylonischen Getreide aufzunehmen.«
Hierauf pries Kaptah wiederum meine Weisheit und sagte: »Recht hast du, Herr! Wenn diese Geschäfte glücklich abgeschlossen sind, wirst du der reichste Mann Ägyptens sein. Ich glaube nämlich, daß ich immer noch Getreide kaufen kann, wenn auch zu Wucherpreisen. Der Mann aber, den du verfluchst, ist der einfältige Priester Eje, der das Korn des Pharao an Syrien verkaufte, und zwar gleich nach Friedensschluß, als die Preise noch niedrig waren, und in solchen Mengen, daß Syriens Bedarf für viele Jahre gedeckt wäre. Er tat es, weil Syrien das Getreide bar in Gold bezahlte und er zum dreißigjährigen Gedenkfest des Pharao maßlos viel Gold brauchte. Und die Syrier wollen dieses Korn nicht zurückverkaufen, obgleich sich die Getreidehändler danach erkundigt haben; sie haben es vielmehr im Winter hinübergeschifft und geben kein Körnlein davon wieder her. Die Syrier sind nämlich schlaue Handelsleute, und ich glaube, daß sie warten wollen, bis in Ägypten jedes Getreidekorn mit Gold aufgewogen wird. Erst dann werden sie uns unser eigenes Getreide wiederverkaufen und in ihren Kisten alles Gold Ägyptens anhäufen, ich meine alles Gold, das wir beide, Herr, uns nicht zuvor sichern.«
Bald jedoch vergaß ich das Getreide und die Not, die Ägypten drohte, und die Zukunft, die, nachdem der Sonnenuntergang seinen blutigen Schein über Achetaton geworfen, in Dunkel gehüllt lag. Denn ich blickte Merit in die Augen, und mein Herz sog sich voll an ihrer Schönheit, und sie war Wein in meinem Mund und Balsam in meinem Haar. Wir nahmen Abschied von Kaptah, Merit breitete mir ihre Matte zum Liegen aus, und ich zögerte nicht mehr, sie meine Schwester zu nennen, obgleich ich mir einst eingebildet hatte, nie mehr eine Frau so nennen zu können. Aber nach aller Hitzigkeit und allen Enttäuschungen meiner Jugendzeit war mir Merits Freundschaft wie Brot und Wein, die den Hungrigen speisen und seinen Durst löschen, und die Berührung ihrer Lippen berauschte mich mehr als alle Weine des Hafens und der Berge. Doch nachdem ich meinen Hunger an ihr gestillt und meinen Durst an ihr gelöscht, hielt sie im Dunkel der Nacht meine Hände in den ihrigen, und ihr Atem streifte meinen Hals; wir redeten miteinander, und mein Herz hatte keine Geheimnisse vor ihr, sondern ich sprach ohne Falsch und Trug zu ihr. Sie aber verbarg vor mir ihr Geheimnis im Herzen, was ich nicht ahnen konnte; doch es stand bereits vor meiner Geburt in den Sternen geschrieben, ich will ihrer daher ohne Bitterkeit gedenken.
So berauschte mich meine Liebe, und ich fühlte mich jetzt in meinen Mannesjahren stärker als einst in meiner Jugend. Denn die Jugend irrt, und ihre Liebe ist ihrer Unwissenheit wegen qualvoll; die Jugend kennt auch ihre eigene Kraft nicht, sondern hält sie für natürlich und selbstverständlich und bedenkt nicht, daß sie Jahr für Jahr den Gliedern des Mannes entrinnt, wenn das Alter naht. Dennoch preise ich in den Tagen meines Alters die Jugend glücklicher als die Mannesjahre; denn vielleicht ist Hunger besser als Sattheit, und vielleicht verleiht der Durst den Gedanken des Menschen mehr Feuer als ein vom Wein befriedigter Sinn. Doch zu jener Zeit in Theben stellte ich mir vor, daß ich in meinen Mannesjahren stärker als in meiner Jugend sei, was vielleicht eine bloße Einbildung war, wie das Leben sie dem Menschen vorgaukelt. Dieser Selbsttäuschung wegen war in meinen Augen alles schön; ich wollte nichts Böses tun, sondern allen Menschen nur Gutes erweisen. Während ich an Merits Seite ruhte, fühlte ich mich nicht mehr als Fremdling in der Welt; ihr Schoß war mir ein Heim, und ihre Lippen küßten meine Einsamkeit weg. Aber auch das alles war nur ein flüchtiger Wahn, den ich erleben mußte, damit ich mein Maß bis zum Rande füllte.
Im »Krokodilschwanz« sah ich auch den kleinen Thoth wieder, und sein Anblick wärmte mein Herz; er schlang mir die Arme um den Hals und nannte mich »Vater«, und sein gutes Gedächtnis rührte mich. Merit erzählte mir, daß seine Mutter gestorben sei und sie ihn zu sich genommen habe, weil sie ihn einst in ihren Armen zur Beschneidung getragen und sich dadurch nach gutem Brauch verpflichtet habe, für seine Erziehung zu sorgen, falls seine eigenen Eltern es nicht zu tun vermöchten. Thoth war im »Krokodilschwanz« heimisch geworden, und die Gäste der Weinschenke liebkosten ihn und brachten ihm Geschenke, um Merit zu gefallen. Auch ich schloß ihn ins Herz und nahm ihn für die Zeit meines Aufenthalts in Theben mit in das einstige Haus des Kupferschmieds. was Muti sehr erfreute. Wenn ich ihn am Fuße der Sykomore spielen oder mit den Kindern der Straße herumtollen und sich balgen sah, entsann ich mich meiner eigenen Kindheit zu Theben und beneidete den Kleinen. Thoth gewöhnte sich so sehr an mein Haus, daß er auch die Nächte da verbrachte, und zu meinem Vergnügen begann ich ihn zu unterrichten, obgleich es noch nicht Zeit für ihn war, die Schule zu besuchen. Ich sah, daß er ein gescheiter Junge war, der die Bilder und Zeichen der Schrift rasch erlernte, und beschloß daher, ihn auf meine Kosten in die beste Schule Thebens zu schicken, die von den Kindern der Vornehmen besucht wurde; über den Entschluß war Merit sehr froh.
Und Muti wurde nicht müde, ihm Honigkuchen zu backen und Märchen zu erzählen; denn ihr Wunsch war erfüllt, indem es jetzt in meinem Haus einen Sohn, aber keine Frau gab, die sie gestört und ihr heißes Wasser über die Füße gegossen hätte, wie die Frauen zu tun pflegen, wenn sie mit ihren Männern gestritten haben.
So hätte ich glücklich sein können, wenn nicht die Aufregung in Theben zu jener Zeit so groß gewesen wäre, daß ich die Augen nicht davor verschließen konnte. Es verging kein Tag ohne Prügeleien auf den Straßen und Plätzen, und die Menschen fügten sich gegenseitig Verletzungen zu und spalteten sich die Köpfe im Streit um Ammon und Aton. Die Wächter des Pharao hatten viel zu tun und ebenso die Richter. Jede Woche wurden im Hafen mit Schilfseilen gefesselte Männer und Frauen, Greise und Kinder zusammengetrieben, die aus ihren Heimen geholt und zur Zwangsarbeit auf die Felder des Pharao oder in die Steinbrüche verschickt wurden. Einige wurden Ammons wegen auch in die Bergwerke verbannt. Aber sie fuhren keineswegs wie Sklaven oder Verbrecher ab, sondern wurden von großen Menschenmengen geleitet. Die Kais waren weiß von Leuten, man begrüßte sie mit lauten Zurufen und warf ihnen, ohne sich um die Wächter zu kümmern, Blumen zu. Und sie hoben ihre gefesselten Hände und riefen: »Wir kehren bald wieder!« Manche von ihnen schwenkten heftig ihre gebundenen Hände und riefen mit bitterer Stimme: »Wahrlich, wir kommen bald zurück, um Atons Blut zu kosten!« So riefen sie, aber der Leute wegen wagten ihre Wächter nicht, sie zum Schweigen zu bringen, sondern schlugen sie erst, nachdem die Schiffe stromabwärts gefahren waren.
Auf diese Art herrschte Zerwürfnis unter der Bevölkerung Thebens, und Atons wegen trennte sich der Sohn vom Vater und die Frau vom Mann. Wie die Getreuen Atons das Kreuz des Lebens auf den Kleidern oder um den Hals trugen, war das Horn Ammons das Abzeichen der Ammonanhänger; sie trugen es sichtbar an den Kleidern oder um den Hals, und niemand konnte es verhindern, weil das Horn zu allen Zeiten ein erlaubter Zierat an Kleidern oder Schmuck gewesen war. Warum sie aber das Horn als Zeichen hatten, weiß ich nicht. Vielleicht war es das Widderhorn Ammons; aber auch einer seiner zahlreichen göttlichen Namen wurde wie das Wort Horn geschrieben, und die Priester hatten dieses Wort aus der Vergessenheit hervorgeholt und es dem Volk als Zeichen gegeben. Jedenfalls warfen die Träger des Hornes die Körbe der Fischhändler um, zerstörten die Fensterläden der Häuser und fügten denjenigen, die ihnen begegneten, blutige Wunden zu, indem sie riefen: »Wir stoßen Aton mit dem Horn, wir schlitzen ihn mit dem Horn auf!« Die Anbeter Atons aber begannen unter ihren Kleidern Messer zu tragen, die wie das Kreuz des Lebens geformt und geschmiedet waren. Mit diesen Messern verteidigten sie sich und riefen: »Wahrlich, unser Kreuz ist schärfer als das Horn, und mit dem Kreuz des Lebens impfen wir euch das ewige Leben ein.« In der Tat schickten sie mit diesen Messern viele Leute in das Haus des Todes, um sie für das ewige Leben herrichten zu lassen. Und die Wächter verfolgten sie keineswegs; ja, sie beschützten sie sogar, obwohl sie oft, wenn sie auf einsame Hornträger stießen, über sie herfielen und sie umbrachten, ausplünderten und ihre Leichen nackt auf der Straße liegen ließen.
Zu meinem Erstaunen war nämlich die Macht Atons im vergangenen Jahr in Theben bedeutend gestiegen, und ich konnte auch zuerst nicht begreifen, womit dies zusammenhing. Viele Siedler waren nach Theben zurückgekehrt, und nachdem sie alles verloren hatten und ärmer als je zuvor waren, brachten sie in ihrer Erbitterung Aton mit und klagten die Priester an, die ihr Getreide vergiftet, und die Vornehmen, die ihre Bewässerungsgräben verstopft und durch ihr Vieh ihre Äcker hatten zertrampeln lassen. Viele, welche die neue Schrift erlernt und die Schulen Atons besucht hatten, ereiferten sich auch für Aton, wie die Jugend sich eben stets gegen das Alter erhitzt. Ebenso taten sich die Träger und Sklaven des Hafens zusammen und sprachen zueinander: »Unser Maß ist auf die Hälfte des früheren gesunken, und wir haben nichts mehr zu verlieren. Vor Aton gibt es keine Herren und Sklaven, keine Gebieter und Diener, Ammon aber müssen wir für alles bezahlen.«
Am eifrigsten für Aton aber gebärdeten sich Diebe, Grabplünderer und Betrüger, die sich als Angeber bereichert hatten und jetzt die Rache fürchteten. Ebenso hielten alle diejenigen an Aton fest, die ihm auf die eine oder andere Art ihr Brot zu verdanken hatten und sich die Gunst des Pharao bewahren wollten. So war die Bevölkerung Thebens zersplittert, bis die friedliebenden und ehrlichen Menschen alles satt bekamen, an keine Götter mehr glaubten und bitterlich klagten: »Ob Ammon oder Aton, das ist uns ganz gleichgültig. Wir wollen nur in Frieden leben und unsere Arbeit tun, sofern wir unser Maß voll erhalten! Wir werden derart hin und her gerissen, daß wir nicht mehr wissen, ob wir auf den Füßen oder auf dem Kopfe stehen.« Am schlimmsten bestellt war es nämlich zu jener Zeit um den, der die Augen offenhalten und einem jeden seinen Glauben lassen wollte. Ihn überfielen alle mit Schimpfworten und bezichtigten ihn, schlapp und gleichgültig, dumm und verstockt, starrsinnig und abtrünnig zu sein, bis er sich gequält die Kleider zerraufte, ein Auge zudrückte und das Kreuz oder das Horn nahm, je nachdem er von dem einen oder anderen weniger Ärgernis erwartete.
So hatten manche Häuser ihr Zeichen; ganze Viertel stellten ihr Zeichen zur Schau; Weinstuben und Bierschenken und Freudenhäuser trugen ihr Zeichen, und so tranken die Hörner Wein in ihren eigenen Kneipen und die Kreuze Bier in ihren eigenen Schenken, während die Freudenmädchen, die ihr Gewerbe bei den Mauern trieben, sich je nach ihren Kunden Kreuze oder Hörner um den Hals hängten. Allabendlich aber unternahmen die Hörner und Kreuze, von Wein und Bier berauscht, Streifzüge durch die Straßen, zertrümmerten Lampen, löschten Fackeln aus, zerschnitten die Fensterläden der Häuser und schlugen sich gegenseitig blutig. Ich hätte wahrlich nicht mehr sagen können, wer es ärger trieb, die Kreuze oder die Hörner; sie entsetzten mich beide.
Auch der »Krokodilschwanz« war gezwungen worden, sein Zeichen zu wählen, obwohl Kaptah keine Lust gehabt hatte, sondern es mit einem jeden halten wollte, dem er Silber abnehmen konnte. Es blieb ihm jedoch keine Wahl mehr; denn die Wände der Schenke wurden allnächtlich mit dem Kreuz des Lebens und rundherum mit unanständigen Bildern besudelt. Das war ganz natürlich; denn die Getreidehändler haßten ihn grimmig, weil er sie dadurch arm gemacht, daß er Getreide an die Siedler verteilt hatte, und es half ihm nichts, daß er in den Steuerlisten die Schenke auf Merits Namen hatte eintragen lassen. Auch wurde behauptet, in seiner Weinstube seien Ammonpriester mißhandelt worden. Seine festen Kunden gehörten alle zu den zweifelhaften Reichen des Hafens, die keine Mittel scheuten, wenn es galt, Reichtümer zu sammeln, und die Anführer der Grabplünderer hatten gerne »Krokodilschwänze« gezecht und in den Hintergelassen seiner Schenke die Grabbeute an die Hehler verkauft. Alle diese Leute hatten sich Aton angeschlossen, weil er sie bereicherte und sie im Namen Atons ihre Nebenbuhler ruinieren und in die Gruben verschicken lassen konnten, indem sie vor den Richtern falsches Zeugnis ablegten. Auch konnten die Grabplünderer ihre Untaten damit rechtfertigen, daß sie erklärten, sie seien aus Glaubenseifer in die Gräber eingedrungen, um den Namen des verfluchten Gottes Ammon von den Wänden zu tilgen.
Keiner erkühnte sich jedoch, mich zu verfolgen, weil ich königlicher Arzt war und alle Menschen im Armenviertel beim Hafen mich und meine Taten kannten. Deshalb wurden keine Kreuze oder unanständige Bilder an meine Hauswände gezeichnet und keine Kadaver in meinen Hof geworfen, und sogar die betrunkenen Unruhestifter, die abends in den Straßen Ammons Namen schrien, um die Wächter zu ärgern, mieden mein Haus. So tief saß dem Volke die Ehrfurcht vor dem, der das Zeichen des Pharao trug, im Blut, obgleich die Priester alles taten, um die Leute davon zu überzeugen, daß Pharao Echnaton ein falscher Prophet sei.
Aber an einem heißen Tag kehrte der kleine Thoth verprügelt und ausgepeitscht von seinem Spielplatz nach Hause; das Blut rann ihm aus dem Naschen, und ein Zahn war ihm ausgeschlagen worden. Dabei konnte er wirklich keinen Zahn entbehren, denn sein Mund sah ohnehin wegen des Zahnwechsels lächerlich genug aus. Er kam schluchzend heim, obwohl er sich bemühte, tapfer zu sein, und Muti erschrak sehr und begann vor Zorn zu weinen, während sie ihm das Gesicht wusch. Als sie damit fertig war, vermochte sie sich nicht länger zurückzuhalten, sondern packte mit ihrer knochigen Hand einen Wäscheschlegel und rief: »Ob Ammon oder Aton! Das kann mir gleichgültig sein. Aber das sollen mir die Schlingel des Schilfflechters wahrlich büßen!« Ehe ich sie zu hindern vermochte, war sie verschwunden, und kurz darauf ertönten von der Straße das Gewimmer und die Hilferufe von Knaben und die Flüche eines Erwachsenen. Erschrocken schauten Thoth und ich durch das Tor nach Muti aus und sahen sie im Namen Atons alle fünf Jungen des Schilfflechters sowie seine Frau und ihn selbst verprügeln, wobei er vergeblich seinen Kopf zu schützen suchte und das Blut ihm aus der Nase strömte.
Hierauf kehrte Muti, immer noch vor Wut keuchend, zurück, und als ich sie zu tadeln und ihr zu erklären versuchte, daß Haß nur Haß gebiert und Rache nur Rache sät, hätte sie beinahe auch noch mich mit dem Wäscheschlegel verprügelt. Im Lauf des Tages begann das Gewissen sie jedoch zu quälen: sie packte Honigkuchen und einen Krug Bier in einen Korb, brachte dem Schilfflechter auch noch ein neues Tuch und schloß mit ihm, seiner Frau und seinen Söhnen Frieden, indem sie sagte: »Halte deine Jungen in Zucht, wie ich es mit dem meinigen, das heißt mit demjenigen meines Herrn tue! Es schickt sich nicht für gute Nachbarn, über Hörner und Kreuze zu streiten!«
Nach diesem Ereignis begann der Schilfflechter, Muti sehr zu verehren, und benützte das Geschenktuch an heiligen Tagen; seine Jungen wurden Thoths Freunde, mausten Honigkuchen aus unserer Küche und prügelten sich ebensoviel mit Hornjungen wie mit Kreuzknaben herum, die sich in unsere Straße verirrten, um Unfug zu treiben. Thoth nahm auf ihrer Seite an den Schlägereien teil, so daß schließlich nicht einmal Seth imstande gewesen wäre, zu entscheiden, ob der Knabe ein Horn oder ein Kreuz war. Mein Herz aber zitterte jedesmal, wenn der kleine Thoth auf die Straße spielen ging. Trotzdem wollte ich ihn nicht daran hindern; denn er mußte lernen, sich selbst zu verteidigen und sein Maß voll zu bekommen. Aber jeden Tag sagte ich zu ihm: »Das Wort ist stärker als die Faust, Thoth! Wissen ist mächtiger als Unwissenheit! Glaube es mir!«
5
Ich habe nicht mehr viel über meinen Aufenthalt in Theben zu berichten. Es kam die Zeit, da Pharao Echnaton mich rufen ließ, weil sich sein Kopfweh wieder verschlimmert hatte, und ich konnte daher meine Abreise nicht länger verschieben. Also nahm ich Abschied von Merit und dem kleinen Thoth; denn zu meinem Bedauern konnte ich sie diesmal nicht auf die Stromfahrt mitnehmen, weil mir der Befehl des Pharao eine solche Eile auferlegte, daß die beiden keine Freude an der Reise gehabt hätten. Aber ich sagte zu Merit: »Folge mir mit dem kleinen Thoth! Ihr sollt in meinem Haus in Achetaton bei mir wohnen, und wir werden zu dritt glücklich sein!«
Merit entgegnete: »Versetze eine Blume aus der Wüste in fette Erde und begieße sie täglich: sie wird welken und sterben. So würde es mir in Achetaton ergehen, und deine Freundschaft für mich würde welken und sterben, wenn du mich mit den Frauen des Hofes vergleichen und diese mit dem Finger auf alles zeigen würden, worin ich mich von ihnen unterscheide. Ich kenne die Frauen und glaube, auch die Männer zu kennen. Auch schickt es sich nicht für deinen Rang, in deinem Haus eine Frau zu halten, die in einer Schenke aufgewachsen ist und deren Hüfte Jahr für Jahr betrunkene Männer betastet haben.«
Ich sagte: »Merit, Geliebte! Sobald ich kann, kehre ich zu dir zurück; denn ich hungere und dürste jeden Augenblick, den ich fern von dir sein muß. Viele haben Achetaton für immer verlassen. Vielleicht komme auch ich zu dir, um nie mehr nach Achetaton zurückzukehren.«
Aber Merit meinte: »Du versprichst mehr, als dein Herz erträgt, Sinuhe. Ich kenne dich und weiß, daß es nicht mit deiner Würde vereinbar ist, den Pharao zu verlassen, wenn andere dies tun. In guten Tagen hättest du ihn vielleicht verlassen können, aber niemals in den bösen. So ist dein Herz, Sinuhe, und vielleicht bin ich gerade deshalb deine Freundin.«
Ihre Worte empörten mein Herz, und Spreu stach mich in die Kehle beim Gedanken, sie vielleicht zu verlieren. Deshalb entgegnete ich heftig: »Merit, es gibt viele Länder auf der Welt, und Ägypten ist nicht das einzige. Ich habe den Kampf der Götter und den Irrsinn des Pharao satt. Laß uns zusammen in eine ferne Gegend fliehen und dort zu dritt leben, ohne uns um den morgigen Tag zu kümmern!«
Merit aber lächelte, und der Kummer sprach aus ihren Augen, als sie entgegnete: »Deine Rede ist eitel, und du weißt selbst, daß sie nicht wahr gemeint ist. Trotzdem freut mich deine Lüge, weil sie mir beweist, daß du mich liebst. Aber ich glaube nicht, daß du irgendwo anders als in Ägypten sein könntest, da du ja hierher stets zurückgekehrt bist; und ich glaube auch nicht, daß ich mich an einem anderen Ort als in Theben glücklich fühlen könnte. Du weißt: wer einmal vom Wasser des Nil getrunken hat… Nein, Sinuhe! Kein Mensch kann seinem Herzen entfliehen, und du sollst dein Maß voll bekommen. Mit der Zeit, wenn ich alt und häßlich und dick geworden, würdest du meiner überdrüssig werden und mich wegen allem, was du meinetwegen nicht erleben durftest, hassen. Das wünsche ich nicht, und daher verzichte ich lieber auf dich.«
»Du bist mein Heim und mein Land, Merit«, sagte ich zu ihr. »Du bist das Brot in meiner Hand und der Wein in meinem Munde, das weißt du ganz gut! Du bist der einzige Mensch auf der Welt, in dessen Gesellschaft ich mich nicht einsam fühle; deshalb liebe ich dich.«
»So ist es«, bestätigte Merit in einem Anflug von Bitterkeit. »Ich bin gewiß nur die Decke über deiner Einsamkeit, wenn ich nicht gerade deine verschlissene Matte bin. Aber so muß es wohl sein, und ich verlange nicht mehr. Deshalb verrate ich dir auch das Geheimnis nicht, das mir am Herzen nagt und das du vielleicht wissen solltest. Ich behalte es für mich, obwohl ich es dir in meiner Schwäche beinahe schon offenbart hätte. Aber deinetwegen, Sinuhe, verberge ich es, ausschließlich deinetwegen.«
Und sie verriet mir ihr Geheimnis nicht; denn sie war stolzer als ich und vielleicht auch einsamer, obwohl ich es damals nicht verstand, sondern in allen Stücken nur an mich selbst dachte. Das tun, glaube ich, alle Männer, wenn sie lieben – was jedoch keine Entschuldigung für mich sein soll. Wenn die Männer nämlich glauben, in der Liebe an etwas anderes als sich selbst zu glauben, so ist dies, wie so vieles auf der Welt, eine bloße Einbildung.
So verließ ich Theben und kehrte nach Achetaton zurück – und von nun an habe ich nur noch Unheilvolles zu berichten.